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Hausers Zimmer - Roman

Hausers Zimmer - Roman

Titel: Hausers Zimmer - Roman
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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kleiner grüner Igel auf gelbem Grund an meiner Tür. Den hatten mir Wiebke und Klaus mitgebracht. Ein anderer dieser Igel klebte plötzlich bei uns am Kühlschrank. Mit dem Igelchen wurde keine Kinderfernsehsendung beworben, wie ich erst vermutete, sondern eine neue Partei, über die meine Eltern oft sprachen.
    So zugeklebt und bunt wie meine Tür war, so weiß und kahl war Falks. Aus den abgesenkten Vertäfelungen ragte ein riesiger verrosteter Nagel, und an diesem hing das wendbare Plastikschild: Geöffnet , Geschlosse n – das war alles, was mein Bruder der Außenwelt mitteilen wollte.
    Langsam schlurfte ich durch unsere Wohnung. Sie war so groß, dass Falk und ich früher Angst hatten, nachts auf die Toilette zu gehen. Es war ein Labyrinth aus großen und kleinen Zimmern mit und ohne Durchgängen, mit Flügeltüren, mit Geheimtüren, mit zugemauerten Türen, mit Türrahmen, in die Klaus und Wiebke Bücherregale eingebaut hatten, mit herausgerissenen und nachträglich wieder anders eingebauten, mit stuckverzierten und schmucklosen Wänden, mit schwindelerregend hohen Decken, mit Rumpelkammern, Vorratskammern, Abstellkammern, früheren Dienstbotenzimmern, mit einem riesigen, fast lichtlosen Berliner Zimmer (lange Zeit hatte ich mich gefragt, warum das so hieß, bis Klaus mir erklärt hatte, dass es sich bei dieser Besonderheit des Berliner Mietshauses um ein Durchgangszimmer handelt, das das Vorderhaus mit dem Seitenflügel eines Gebäudes oder den Seitenflügel mit dem Hinterhaus verbindet), mit einem ohne Erlaubnis in die Außenwand gebrochenen Fensterchen zum Hof, mit kleinen und großen Kachelöfen, manche meterhoch aufragend und reich ornamentiert wie Altäre, andere niedrig wie Küchenherde, manche mit Jugendstilkachel n – rosa Tulpenmotive auf flaschengrünem Grun d –, andere hellbraun wie die Hundescheiße auf den Schneebergen an der Lietzenburger oder dunkelbraun wie das Fell von Frau Koderitz’ Mischlingshund. Es war ein Labyrinth mit Hochbetten, Himmelbetten und eingezogenen Böden, mit einem Versteck unter den Dielen, in dem früher vielleicht mal jemand Schutz gesucht hatte (vor den Nazis? hatten wir uns gefragt) und Klaus jetzt kostbare Zeichnungen aufbewahrte (dort sind sie nun wirklich lichtgeschützt ! – so seine Logik). Es gab zwei Eingangstüren, eine große im Vorderhaus, eine kleinere im Seitenhau s – so groß war diese Wohnung, und nicht nur diese, auch die von Hülsenbecks, Klügers, Herrn Olk und Herrn Wiedemann.
    Es waren Wohnungen, in denen man sich verkriechen, Besatzungen und Kalte Kriege, Rudi Carrell und Karel Gott, Michael Schanze und Heino überstehen konnte. Ein Teil der Zimmer war ordentlich hergerichtet, mit weißen Fußleisten und glänzenden Fensterbrettern, ein anderer unrenoviert. Ein Teil war im Krieg weggebombt und in den Fünfzigerjahren wieder angebaut worden, dort fehlte der Stuck. Es waren Wohnungen, die nie fertig wurden, deren Wände an einem Ende schon wieder vergilbten, wenn sie am anderen gerade erst gestrichen wurden. Wurde in einem Teil der Räume halbherzig begonnen, die Wasserschäden an den Decken zu überpinseln, tropfte es schon wieder von anderen Decken; es waren Wohnungen, deren Sicherungen genauso locker saßen wie die ihrer Bewohner.
    Ein Zimmer, dessen Existenz ich manchmal richtiggehend vergaß, hatten Wiebke und Klaus bis auf einen freistehenden Stuhl komplett unmöbliert gelassen. Es war nur von Klaus’ Arbeitszimmer aus betretbar, und mein Vater nannte es seinen Denkraum. Gelegentlich stand dort eine angebrochene Flasche Rotwein, und einmal sagte Falk, um ihn zu ärgern: »Klau s – hast du den Rotwein ein bisschen angedacht?« So kahl wie Klaus’ Rückzugszimmer war, so vollgestopft war Wiebkes Bücherstube. Bei unserem Einzug damals hatte Wiebke, die von Körperpflege nicht allzu viel hielt, das Gästebadezimmer in ein schmales Bücherstübchen umgewandelt. Wenn sie sich dort wieder einmal zurückzog, klopfte Falk manchmal an die Tür und rief: »Runter vom Pott!«
    In allen anderen Räumen wucherte bei uns Kunst. Da gab es den Sprechenden Waschlappe n – dieses Objekt hatten Wiebke und Klaus von einem befreundeten Künstler aus London geschenkt bekommen. Der knittrige Frotteewaschlappen in einer Glasvitrine sagte jede Menge unanständige Dinge wie Put me between your legs oder Don’t forget to wash your ass , wenn man außen auf einen Knopf drückte. Dieses Kunstwerk war eines der wenigen, das auch Falk gefiel.
    Gleich neben der
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