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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter
Autoren: Heinrich Böl
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legt euch hin.«Jetzt erst fiel Martin
    ein, nach Onkel Albert zu fragen, und er rief hinunter: »Wo ist Onkel Albert?«
    »Er kommt gleich zurück, er mußte mit der Großmutter weg.« »Wohin?«
    »Zum Schloß.« »Was tut er dort?«
    Die Mutter schwieg einen Augenblick, aber dann rief sie hinauf: »Gäseler ist dort Ȭ er muß mit ihm sprechen.« Martin schwieg. Er blieb im offenen Fenster liegen, hörte, daß Heinrich ins Bett kletterte und das Licht ausknipste.
    »Gäseler«, fragte er ins Dunkel hinunter, »lebt er denn?« Aber die Mutter antwortete nicht, und Martin wunderte sich, daß er nicht die Regung verspürte, noch einmal nach Gäseler zu fragen. Er hatte noch nie mit Heinrich über den Tod seines Vaters gesprochen, weil ihm die Umstände zu unklar erschienen; fragwürdig wie alle Weisheit der Großmutter erschien ihm auch die Gäseler Ȭ Geschichte. Ein Wort, ein Name, der zu oft und zu heftig in ihn hineingeworfen, zu oft wieder herausgeholt worden war, um ihn noch zu erschrecken. Schlimmer und näher, deutlicherwar das andere, das dort geschehen war, wo die Pilze wuchsen: Mord war geschehen an dem Mann, der das Bild des Vaters gemalt hatte. Der Vater und Albert waren dort geschlagen und
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    gequält worden von den Nazis, dunkel und fern und vielleicht nicht so schlimm Ȭ aber der Raum war wirklich: Pulte, aus denen kränkliche Tasten herauswuchsen, stinkende Gewölbe und Alberts Gesicht und die Gewißheit, daß er nicht log. Von Gäseler hatte Albert nur selten gesprochen.
    Unten sangen die Gäste: »Dort, wo am Waldesrand die Hütte steht Ȭ dort, wo am Abend stehts mein Herz hingeht Ȭ dort, wo die Rehlein äsen Ȭ dort, wo am Waldesrand die Hütte steht, dort bin ich her.«
    Er löste sich von der Fensterbank, kletterte vorsichtig ins Bett und spürte Wilmas Atem an seiner Schulter. Leise fragte er zu Heinrich hin: »Schläfst du?«, und Heinrich sagte leise, aber deutlich: »Nein.«
    »Dort bin ich her Ȭ dort bin ich her«, sangen die Gäste. Dann hörte er vorne ein Auto halten, und Albert rief sehr laut und sehr ängstlich: »Nella, Nella«, und die Mutter unten rückte den Stuhl so hastig fort, daß er umfiel. Auch Bolda unten in der Küche verstummte, und Alberts Mutter redete auf die Gäste ein, und die Gäste hörten auf zu singen, und es war plötzlich sehr still im Haus. Heinrich flüsterte: »Da ist was passiert.« Weinen klang die Treppe herauf, und Martin stand auf, öffnete die Tür und blickte in den erleuchteten schmalen Flur. Von Albert und Bolda gestützt, kam die Großmutter herauf, und er erschrak, weil sie so alt aussah; zum erstenmal erschien sie ihm alt, und er hatte sie noch nie weinen sehen. Schlapp hing sie auf Alberts Schulter, und ihr Gesicht war nicht mehr rosig, sondern grau; sie jammerte: »Eine Spritze brauch ȇ ich, ich muß eine Spritze haben«, und Albert sagte: »Ja, Nella spricht schon mit dem Arzt.«
    »Ja, das ist gut, eine Spritze.« Wills ängstliches Gesicht tauchte hinter Bolda auf, Glum drängte sich nach vorne, schob sich an Boldas Stelle unter die Großmutter, und sie schleppten die Großmutter in das große Zimmer, das am Ende des Flurs lag. Martin sah seine Mutter heraufkommen, sie lief sehr schnell und rief: »Hurweber kommt, ich hab ȇ mit ihm gesprochen, er kommt sofort.«
    Hörst du«, sagte Albert, »er kommt«, aber schon schloß sich die Tür, und der Flur war leer. Es blieb still, und er starrte auf die braune Tür, hinter der es auch still war. Als erster kam Glum heraus, dann kam Will, und die Mutter
    kam
    mit Albert, und nur Bolda blieb drinnen, und Heinrich flüsterte aus dem Bett
    heraus: »So komm doch, du erkältest dich ja.« Martin schloß leise die Tür und schlich sich im Dunkeln ins Bett zurück. Sehr leise fingen die Gäste wieder an zu singen: »Dort, wo am Waldesrand die kleine Hütte steht.«
    Unten auf der Terrasse saß Onkel Albert mit der Mutter, aber sie sprachen so
    leise, daß er sie nicht verstand. Er spürte, daß auch Heinrich noch wach lag, er hätte gerne mit ihm gesprochen, fand aber keinen Anfang.
    Die Gäste hörten auf zu singen, und er hörte, wie sie Stühle rückten, mit der Kellnerin beim Zahlen lachten, und er fragte leise zu Heinrich hin: »Soll ich das Fenster auflassen?«
    »Wenn ȇ s dir nicht zu kalt wird, laß es auf.«
    »Nein, es ist mir nicht zu kalt.«
    »Dann laß es auf.«
    Heinrichs Schweigen erinnerte ihn an alles, was geschehen war, an den Umzug und an das, was Heinrichs Mutter zum Bäcker
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