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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter
Autoren: Heinrich Böl
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stand
    dieses Wort in Mutters und Alberts Augen, und es schien Einverständnis zwischen den beiden zu herrschen: Tausendstelsekunde der überraschenden Erkenntnis. Und er gab der Mutter die Hand, die Mutter küßte Wilma, und er folgte Albert in den Hof. Wilma krähte vor Freude, als sie das graue Auto sah.

21

    Der entlaufene Gehilfe hatte nicht viel hinterlassen: das Bild einer Diva an der Wand, zwei Paar ungestopfter Socken, verrostete Rasierklingen, eine halb ausgedrückte Tube Zahnpasta, Brennspuren von seinen Zigaretten am Rand des weißlackierten Nachttischs, uralte Abendzeitungen in der Kommodenschublade und Zigarettenbildchen: Afrika, wie es wirklich ist. Zebras grasen in Steppen, und Giraffen fraßen von Bäumen, weißbemalte Eingeborene hockten im Gebüsch und lauerten Löwen auf.
    Der Bäcker ordnete an, daß Heinrichs Bett auf dem Hof bliebe: Holzklötze
    mit der draufgenagelten Tür: Finanzverwaltung, Zimmer 547.
    »Er kann das Bett vom Gehilfen haben.«
    »Und ich?«
    »Hast du kein Bett?« »Nein.«
    »Wo schliefst du denn?«
    »Bei Leo natürlich. «
    »Und früher?«
    »In einem Bett, das wir verbrannt haben. Es war zu hinfällig.« Also wurde Heinrichs Bett doch hinaufgetragen und ihr das Bett des Gehilfen zugesprochen. Es war weiß, aus Eisen und noch fast ganz neu.
    Während die Arbeiter ihren Besitz im Zimmer des Gehilfen stapelten, räumte
    sie die kleine Kammer leer, die als Abstellraum gedient hatte. Uralte Kekse aus Maismehl kullerten wie Steine in Blechdosen herum. Sie trug alles auf den Speicher: Kartons, in denen Zwiebackkrümel beim Transport ein scharrendes Geräusch hervorriefen, verschlissene Mehlsäcke, Schaufensterkartonagen von Schokoladenfabriken, die schon seit Jahren pleite waren, Pappen, mit Namen bemalt, die längst aus dem Handelsregister
    gestrichen waren, riesige Schokoladentafeln, Silberpa Ȭ
    pier, zusammengeknetet in der Größe von Fußbällen, Köche aus weißer
    Pappe, lächelnde Köche, die mit riesigen Löffeln winkten, denen der Name einer Fabrik für Puddingpulver aufgeprägt war. Inderinnen aus gestanztem Blech, die lächelnd Pralinen anboten: Sorbet, die Süße, die Feine. Knallrote Kirschen, aus Sperrholz geschnitten, grüne Fondants aus Papier, und die rie Ȭ sige Blechdose, die jetzt noch nach Eukalyptus roch, rief ihr durchhustete Kindheitsnächte in Erinnerung. Nebenan fluchte der Vater, und je heftiger er fluchte, um so heftiger auch mußte sie husten. Und da waren auch die beiden: der hellblaue Zwiebackjunge und der silberne Kater, der Kakao trank. Im Zimmer stapelten die Arbeiter ihren Besitz auf. Sie hörte ihr Lachen, schüchterne Widerworte des Bäckers und erschrak, als sich plötzlich eine leichte, doch feste Hand auf ihre Schulter legte: Hand, die sonst den Kassenschwengel wie das Ruder eines Schiffes hielt.
    Die Bäckerin lächelte, und sie suchte vergebens den Hinterhalt in diesem Lächeln.
    »Machen Sie ȇ s sich nur gemütlich. Hier soll der Junge schlafen?« »Ja.«
    »Gute Idee, räumen Sie nur alles auf den Speicher. Aber vielleicht möchten die Kinder mit den Sachen spielen, wie?«
    »Oh, sicher, zum Spielen müßten sie schön sein.« Die Bäckerin hielt eine riesige Tafel Schokolade hoch, zog einen Lastwagen aus Pappe, der den Namen einer Mühle trug, ans Licht und deutete lächelnd auf die Inderin aus Blech. »Das müßte für die Kinder schön sein.« »Herrlich wär ȇ s für sie.«
    »Nehmen Sie ȇ s doch.«
    »Oh, danke.«
    »Keine Ursache.«
    Wieder lag die leichte Hand auf ihrer Schulter und ein freundschaftlich Ȭ kameradschaftlicher Druck. »Machen Sie ȇ s gut.«
    »Danke.«
    »Hoffentlich fühlen Sie sich wohl bei uns.«
    »Oh, sicher.«
    »Würd ȇ mich freuen, auf Wiedersehen.«
    »Auf Wiedersehen.« Sie legte Pappen übereinander, rollte Säcke zusammen, trug alles
    packenweise auf den Speicher und dachte an den Onkel von Heinrichs
    Freund: Plötzlich hatte sie diesen fremden Mann umarmt, aus Angst, aus Wut über den Bäcker, aber ohne sich etwas dabei zu denken, und in dem Augenblick, als sie darüber erschrak und sich zurückziehen wollte, spürte sie den leichten Druck seines Armes, und seine Wange hatte für einen Augenblick ihren Hals berührt. Unten im Flur, als er mit den Kindern wegging, hatte er sie angesehen, wie man nicht jede Frau ansieht.
    Sie lächelte, schob eine zerrissene spanische Wand beiseite und erschrak: Was
    sie sah, war von Spinnweben überdeckt, aber die lebhaften Farben waren deutlich zu erkennen;
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