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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter
Autoren: Heinrich Böl
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Meßdiener dabeisein.
    Will rief Martin zu: »Gehst du mit?«, und Martin rief: »Ja«, und sofort hörte
    das helle Tittern der Bälle auf, und Will sprach wieder mit Albert über ihn, und Albert sagte: »Laß ihn jetzt Ȭ laß ihn nur. Ich bleibe hier.«
    Dunkel und schön war das Geläut der Glocken. Wilma schrie drinnen vor
    Freude, weil sie mit einem weichgekochten Ei gefüttert wurde. Alles war schön, war glatt und rund, es war da, war aber nicht für ihn da. Es stimmte nicht. Auch die Gerüche waren gut, nach Holz roch es, nach Gebackenem, nach frischem Teig, aber auch die Gerüche stimmten nicht.
    Er stand auf, lehnte sich an den Schuppen und konnte durchs offene Fenster ins Gastzimmer blicken. Leute saßen dort, die Bier tranken, Schinkenschnitten aßen, und die junge Kellnerin ging vom Gastzimmer in die Küche, schnitt Brot ab, legte Schinkenscheiben auf die Teller und schob Wilma ein Stück Schinken in den Mund. Wilma probierte stirnrunzelnd, und es war merkwürdig, wie ihr kleiner Mund sich ernsthaft prüfend verzog, das Gesicht sich billigend glättete, dann strahlte, und wie sie das Stück zerkaute und hinunterschluckte. Es sah richtig drollig aus, und Alberts Mutter lachte laut, die Kellnerin lachte laut, und er selbst mußte lächeln, weil Wilma so drollig aussah, aber er lä Ȭ
    chelte müde, und ihm wurde in diesem Augenblick bewußt, daß er müde
    lächelte, so wie Erwachsene lächeln, die Sorgen haben und gezwungen werden, trotz der Sorgen zu lächeln. In diesem Augenblick fuhr das Taxi vor, und er erschrak, weil er wußte, daß etwas geschehen war, oder geschehen würde: Martins Großmutter entstieg dem Taxi, Martins Mutter folgte, und Martins Großmutter, die mit der Zigarette im Mund aufs Haus zulief, schrie dem Chauffeur zu: »Warten Sie, mein Lieber.« Ihr Gesicht war zornig und rot, als sie laut rief: »Albert, Albert.« Die Gäste stürzten ans Fenster, die Kellnerin lehnte mit Alberts Mutter zum Küchenfenster heraus, und Albert kam mit der Zeitung in der Hand ums Haus gelaufen. Er faltete langsam die Zeitung zusammen, während er mit gerunzelter Stirn auf die Großmutter zuging. Martins Mutter stand beiseite, plauderte mit Alberts Mutter, als ginge sie alles nichts an. »Du willst also nichts unternehmen«, sagte die Großmutter laut, und sie schlug ärgerlich die Asche ihrer Zigarette in die Luft ab.
    »Aber ich, ich fahr ȇ hin«, sagte sie laut, »ich bring ȇ ihn um, fährst du mit oder nicht?«
    »Meinetwegen«, sagte Albert müde, »wenn du dir was davon versprichst.«
    »Was ihr wohl denkt«, sagte die Großmutter. »Komm, steig ein.«
    »Meinetwegen«, sagte Albert, er legte die Zeitung auf die Fensterbank, stieg hinten ins Auto und half von drinnen der Großmutter beim Einsteigen.
    »Du bleibst also hier?« rief die Großmutter, und Martins Mutter sagte: »Ja, ich warte auf euch. Bringt meinen Koffer mit, hört ihr.«
    Aber das Taxi war schon abgefahren und fuhr ins Dorf. Die Glocken läuteten nicht mehr, und Alberts Mutter sagte zu Martins Mutter: »Kommen Sie doch rein«, Martins Mutter aber nickte und sagte: »Geben Sie mir die Kleine raus. «Wilma wurde aus dem Fenster gehoben, und Heinrich war sehr erstaunt, wie Martins Mutter das Kind an der Hand nahm, mit ihm lächelte und hinters Haus ging.
    Er hörte Wilma lachen, hörte das Tittern der Bälle, und alles war gut, war schön, war es aber nicht für ihn. Drinnen sangen die Gäste: Deutscher Wald, deutscher Wald,
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    keiner gleicht dir auf der Welt; die Kellnerin schleppte Biergläser, Alberts Mutter stand in der Küche, rührte Kartoffelsalat an und öffnete die große Blechbüchse mit den Würstchen. Wilma lachte, Martins Mutter lachte, und Heinrich war erstaunt, weil auch sie ihm plötzlich gut erschien. Alles und alle waren gut, er aber wußte, daß sich an diesem Abend seine Mutter mit dem Bäcker vereinigte. Der Wechsel von Leo zum Bäcker war vorteilhaft, war aber auch schrecklich.
    Der gelbe Postomnibus fuhr vor, Glum stieg aus, half Bolda beim Aussteigen, und Bolda lief aufs offene Küchenfenster zu und schrie: »Wenn nur nichts passiert«, und Alberts Mutter lächelte und sagte: »Was soll schon passieren Ȭ aber wo wollt ihr denn alle schlafen?«
    »Ich hatte keine Ruhe«, sagte Bolda, »ach, ich bin mit dem alten Sofa
    zufrieden«, und Glum würgte lachend und langsam heraus: »Fußboden Ȭ Stroh«, und er ging mit Bolda zur Kirche, um Will und Martin abzuholen. Deutscher Wald, deutscher Wald, keiner gleicht
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