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Haus Ohne Hüter

Haus Ohne Hüter

Titel: Haus Ohne Hüter
Autoren: Heinrich Böl
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dir auf der Welt, sangen die Gäste, und Alberts Mutter angelte rosige Würstchen aus der Blechbüchse.
    Von der Terrasse her schrie Martins Mutter: »Geh nicht zu nah ran«, und Heinrich erschrak, als sie kurz danach schrill lachte, schrecklich klang ihr Lachen, und er rannte nach hinten und sah, daß Wilma zum Ententeich gelaufen war, nun aber umkehrte. Martins Mutter rief ihn zu sich, gab ihm die Hand und sagte zu ihm: »Kannst du Pingpong?«
    »Nicht gut«, sagte er, »ich habe es erst ein paarmal gespielt.« »Komm, ich
    zeig ȇ dir ȇ s. Magst du?« »Ja«, sagte er, obwohl er nicht mochte.
    Sie stand auf, rückte den Tisch von der Wand weg, klammerte das Netz neu fest und hob die Schläger vom Boden auf. »Komm«, sagte sie, »komm her«, und sie zeigte ihm, wie man anschlagen muß, schlug den Ball so auf, daß der langsam und steil übers Netz flog, so daß er ihn bequem zurückschlagen konnte.
    Wilma hockte auf dem Fußboden, rutschte darauf hin und her, schrie entzückt über den fliegenden Ball und hob ihn auf, wenn er hinfiel, aber sie brachte den Ball nie ihm, sondern immer Martins Mutter. Die ganze Zeit über dachte er daran, daß seine Mutter sich jetzt
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    mit dem Bäcker vereinigte, und es kam ihm schlimmer vor, erschien ihm viel
    unmoralischer als ihre Vereinigung mit Leo. Feierlich läuteten die Glocken wieder, und er wußte, daß sakramentaler Segen gespendet wurde. Weihrauch wurde verbrannt, Tantum ergo wurde gesungen, und er bereute es, nicht dort zu sein, im Dunkeln zwischen Beichtstuhl und Tür zu sitzen. Er hatte bald heraus, daß man die Bälle hart und kurz übers Netz schlagen mußte, und Martins Mutter lachte, als es ihm ein paarmal hintereinander gelang, ihr die Bälle so hinzusetzen, daß sie nicht parieren konnte, und sie fing an, ernsthaft mit ihm zu spielen, die Punkte zu zählen, und ihr Gesicht wurde eifrig. Es war schwer, auf die Bälle achtzugeben, sie richtig zurückzuschlagen und dabei an das andere zu denken: an den Vater, die Onkel und an den Bäcker, mit dem seine Mutter sich vereinigte. Martins Mutter war schön. Sie war blond und groß, und er mochte sie jetzt, wo er beobachten konnte, wie sie während des Spiels sich plötzlich Wilma zuwenden, ihr zulächeln konnte, und Wilma strahlte, wenn sie lächelte, und das Lächeln war schön, wie der Geruch des Teigs, der Klang der Glocken schön war, und es kostete nichts, wie der Klang der Glocken nichts kostete Ȭ und doch war es nicht für ihn. In seine Erinnerung zogen Leos Gerüche ein: Rasierwasser, Bohnerwachs, und Leos Nagelfeile würde in Mutters Nähkorb liegen. Er spielte eifrig und aufmerksam, schlug die Bälle, so hart und so flach er konnte, übers Netz, und Martins Mutter bekam vor Eifer ein rotes Gesicht. Sie sagte: »Mensch, bei dir muß man aber aufpassen.« Sie mußten aufhören, weil alle aus der Andacht zurückkamen. Martin umklammerte seine Mutter, Glum rückte die Tische zusammen, Bolda kam mit einem großen, grünen Tischtuch und mit einem Stoß von Tellern. Feucht und frisch glitzerte die Butter im Buttertopf, und Will sagte: »Bring doch noch von dem Pflaumenmus, die Kinder mögen ȇ s so gern«, und Alberts Mutter sagte: »Ja, ich bring ȇ s Ȭ du magst es genauso gern wie die Kinder.« Und Will wurde rot, Glum klopfte ihm auf den Rücken, gurgelte grinsend heraus: »Kamerad«, und alle lachten wieder. Wilma durfte aufbleiben, und während des Essens stritt man sich darüber, bei wem sie schlafen sollte. Alle sagten: »Bei mir«, außer Martins Mutter; aber als Wilma selbst gefragt wurde:
    »Bei wem
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    willst du schlafen«, lief sie zu Heinrich, und Heinrich wurde rot vor Freude.
    Andere Gäste waren jetzt drinnen in der Gaststube, sie riefen nach der Kellnerin, und Bolda schob ihren Stuhl weg, sammelte die schmutzigen Teller ein und sagte: »Ich geh ȇ und helf ȇ ihnen.« Glum ging in den Stall, um sich Stroh in einen Sack zu stopfen, Will lief schwitzend durchs Haus und suchte Decken zusammen.
    Heinrich und Martin gingen zusammen in das kleine Zimmer, wo sie in dem
    breiten Bett schlafen sollten. Wilma sollte zwischen ihnen liegen.
    Dunkel war es geworden, unten in der Küche lachte Bolda mit der Kellnerin, Geschirr wurde gespült, und Alberts Mutter lachte mit den Gästen. Glühende Pfeifen zeigten an, daß Glum und Will zusammen auf der Bank vor dem Stall saßen. Nur Martins Mutter saß noch auf der Terrasse, rauchte und blickte in die Dunkelheit.
    »Macht voran«, rief sie, »zieht euch aus und
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