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Haus der Löcher (German Edition)

Haus der Löcher (German Edition)

Titel: Haus der Löcher (German Edition)
Autoren: Nicholson Baker
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Geräusch.
    «Ein letzter Programmpunkt noch», sagte Lila. «Cardell, bist du da? Kommst du bitte herauf?»
    Cardell sprang die drei Stufen auf die Bühne.
    «Ist das da in deiner Tasche ein Ei?»
    «Ja, allerdings», sagte Cardell. «Ein silbernes Ei. Von meiner Freundin Jackie.» Er reichte es Lila, die es auf einen gefalteten Waschlappen legte.
    «Nun wollen wir es aufbrechen lassen», sagte Lila. «Das Ei der Liebe, meine Damen und Herren. Leben Sie wohl.»

[zur Inhaltsübersicht]
    Das silberne Ei bricht auf
    Gallanos erwachte eingerollt in einem, wie er später erkannte, kleinen Ei aus Silber. Um ihn herum war eine Frau. Manchmal waren ihre Köpfe in dem Ei an entgegengesetzten Enden, manchmal starrten sie einander auch an und blinzelten mit ihren silbern leuchtenden Augen. Sie schwammen in einer trüben Flüssigkeit. Sie tranken sie, sie atmeten sie ein. Ihre Körper waren mattsilbern.
    Gallanos hatte anscheinend vergessen, wie man spricht. Er erinnerte sich, dass er ein früheres Leben gekannt hatte – dass es für ihn irgendwo einen Raum gab, in dem er sich nicht ein Ei mit einer silbernen Person teilte, aber ihm fehlten die Einzelheiten. Er konnte sich nicht entsinnen, was geschehen war.
    Das erste Mal hatte sie gelächelt, als sie sich beide besonders beengt gefühlt hatten. Entweder das Ei wurde kleiner, oder sie waren ein wenig größer geworden. Sie schliefen ein, und als Gallanos aufwachte, lag seine Hand auf dem Silberkelch ihrer Brust. Er zog sie weg, entsetzt, dass er so dreist gewesen war, und stieß dabei mit dem Ellbogen gegen die glatte, gewölbte Wand ihres Gehäuses.
    Und da hatte sie gelächelt und die Achseln gezuckt: Ach, es ist nun mal so.
    Gallanos öffnete den Mund und versuchte sich an einem Geräusch. Es kam nichts heraus. Sie schliefen, und sie atmeten die klebrige Flüssigkeit, die ihnen Nahrung gab, und dann schliefen sie weiter, und manchmal lächelten und nickten sie und zuckten die Achseln, und dann entwickelten sie nach und nach eine Art Gebärdensprache. Mit Klopfen sagten sie: «Ich schlafe jetzt, gute Nacht.» Und wenn sie aufwachten, klopften und winkten sie, um einander guten Morgen zu sagen.
    Mellinnas war ihr Haar sehr wichtig, es war herrlich feiner, silbriger Engelshaarstoff, den sie bewegte und manchmal mit beachtlichem Geschick zu einem kleinen Dutt drehte. Hatte sie ihre Haare einmal besonders gut arrangiert, tätschelte er ihr die Schulter. Nie berührten sie sich nicht. Sie lebten wenige Zentimeter voneinander entfernt, aber sie konnten einander nicht riechen und sich auch nicht unterhalten.
    Und eines Tages entdeckten sie dann das Küssen. Ihre Lippen fanden zueinander und knutschten und überlippten einander und trafen einander mittig, und Gallanos konnte es nicht fassen, wie viel Mellinnas ihm mit ihren weichen, metallisch schimmernden, vollendeten Lippen gab.
    Nach einem langen Tag des Küssens teilte Gallanos ihr mit, er werde nun schlafen, und sie bedeutete ihm mit Klopfen und Blicken, dass auch sie schlafen wolle. Aber in jener Nacht träumte er, dass sie etwas anhatte und nicht aus Silber war und dass sie beide in einem Schlafzimmer waren und dass sie ihre Sachen aufknöpfte und dann seinen Kopf zu sich heranzog, damit er ihr schlagendes Herz hören konnte. Er konnte ihre Haut riechen und sie reden hören und ihr mittels Schallwellen interessante Dinge sagen, und plötzlich spürte er, wie ein unglaublich angenehmes Klümpchen flüssiges Glück in seiner Getriebebeule unterwegs war. Dann erwachte er, blickte an sich hinunter und sah, dass sein silberner Schwanz viel größer als normal war und schräg vom Körper abstand, obwohl er schon wieder abschwoll. Gallanos war bestürzt und sah zu ihr hin, aber sie hatte die Augen geschlossen und schlief. Bald verschwand die Steifheit, und er schlief wieder ein.
    Eines Tages wurden sie dann heftig durchgerüttelt und in Aufregung versetzt. Angstvoll sahen sie einander an; es war klar, dass ihr Gehäuse irgendwo auf einem Ozean herumgestoßen oder einen steilen Hang hinabgerollt wurde. Es gab eine jähe, harte Erschütterung, dann strömte ein Schwall blendendes, schneidendes Licht herein, während ihre Suspensionsflüssigkeit langsam abfloss. Sie lagen hingebreitet in der runden Hälfte eines silbernen Eis, das auseinandergebrochen war. Nach einer Weile standen sie auf. Ihre Hände fanden einander. Sie waren ein frisch geschlüpftes Paar.
    Laute Geräusche sprossen aus riesigen fleischigen, erhitzten Gesichtern,
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