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Hartland

Hartland

Titel: Hartland
Autoren: Wolfgang Buescher
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verdächtigen Ländern gewesen war und nun begehrte, nach Amerika eingelassen zu werden. Was wollte der hier, was hatte er hier zu suchen? Er suchte und suchte den wunden Punkt, bis er zu einem besonders auffälligen Visum kam. Er hielt es hoch und zeigte es herum, als habe er die Tatwaffe entdeckt.
    «China! Warum China? Was hatten Sie da zu suchen?»
    «Ich war dort, um ein Buch zu schreiben.»
    «Ach ja? Und warum fahren Sie nicht nach Taiwan? Ihnen gefällt wohl das politische System in China, wie?»
    Mir lag die Antwort auf der Zunge, aber sie kam mir nicht über die Lippen. Was ich von China hielt, was ging es ihn an? Dies war keine Plauderei, es war ein Verhör, er wollte nicht reden, er wollte mich erledigen, einen Feind Amerikas zweifellos. Er blätterte weiter.
    «Sie waren in Israel. Wie oft?»
    «Einmal, glaube ich, in letzter Zeit.»
    «Ha! Im Paß sind zwei Einreisestempel. Sie lügen!»
    «Ich dachte, die andere Reise sei länger her und der Stempel in einem älteren Paß.»
    Das war die Wahrheit. Aber ich spürte es selbst, sie klang wie eine Lüge. Ich begann, mich mit seinen Ohren zu hören und mit seinen Augen zu sehen. Meine Selbstsicherheit verließ mich. Und er, darauf abgerichtet,solche Dinge zu erschnuppern, spürte es und setzte nach.
    «Sie wollen mir sagen, Sie wüßten nicht mehr, wann Sie dort waren? Ich weiß noch ganz genau, was ich vor anderthalb Jahren zum Frühstück gegessen habe, und Sie erzählen mir, Sie wüßten nicht mehr, wann Sie in Israel waren?»
    «Und in Jordanien.»
    Das war leichtfertig – die Aufforderung zum Tanz auf einem neuen Minenfeld. Aber ich warf ihm hin, was mir gerade einfiel. Vielleicht brachte es ihn aus der Fassung und verschaffte mir eine Atempause. Er schnappte nach dem Köder und wiederholte es, hell empört: «Jordanien!» Und noch einmal, an die Grenzer gewandt, so siegessicher, als habe er mich gleich am Boden: «Er war in Jordanien!»
    Es schien zu funktionieren. Jetzt war er es, der leichtfertig wurde. Er hatte wer weiß wie viele Monate untätig in seinem Büro gehockt, während die Grenzer ihre Arbeit taten. Deren Blicke fragten, wozu er eigentlich da sei den lieben langen Tag. Er hatte auf den Moment gewartet, es ihnen zu zeigen. Auf seinen Einsatz. Auf einen wie mich. Jetzt wollte er ihnen demonstrieren, wie man es macht. Die Legende vom harmlosen Hobo entlarven. Rotchina, Jordanien – kommunistische Kontakte, arabische Reisen. Bingo, was für eine Beweiskette! Es bedurfte nur noch ein, zwei gezielter Schläge, und ich läge am Boden.
    «Kein jordanischer Stempel im Paß! Sie lügen ja schon wieder.»
    «Der Stempel muß drin sein, schauen Sie nach, derÜbergang am Jordan, früher Allenby Bridge, heute King Hussein.»
    Er fand den Stempel. «Ach da.» Es focht ihn nicht an – um so schlimmer für mich. Er wandte sich an die Grenzer, den Paß mit dem arabischen Gekrakel verächtlich hin und her schlenkernd: «Ich kann das nicht lesen.»
    Ich sah die unbewegten Gesichter der Grenzer. Schwer zu sagen, was sie über ihn und über mich dachten, ob sein Hohn bei ihnen zündete oder nicht. Er ließ mir keine Atempause.
    «Sie mögen meine Fragen nicht, was?»
    Ich schützte schlechtes Englisch vor und murmelte irgendwas daher. Eine neue Lüge in seinen Augen, war doch unsere Konversation bisher flüssig verlaufen. Keiner mußte aussprechen, was er vom anderen hielt. Ihm stand es im Gesicht, das sah ich, und in meinem stand es wohl auch. Wir haßten uns herzlich.
    Was war es bloß mit diesem Gesicht? Etwas Beleidigtes und Empörtes zuckte um den wie zum Abschmecken einer Soße gespitzten Mund. Ja, das war er, ein Feinschmecker, ein
chef
des Verdachts. Und als müsse der ohnehin spitze Zug um seinen Mund ins Komische gesteigert werden, schwebte darüber das Dreieck des rötlich-schütteren Oberlippenbärtchens als Accent circonflexe.
    Wir standen uns gegenüber, zwei Schritte entfernt – nein, nur er stand, ich saß. Es war mir verboten aufzustehen. Ihm aufrecht gegenüberzutreten war im Moment mein dringendster Wunsch. Wer war ich? Kein freier Mann, ein Gefangener der Grenzstation. Werwar er? Kein Grenzer, CIA, FBI, Homeland Security, woher sollte ich das wissen, er verbarg es ja, nur soviel wußte ich, daß er ein Eiferer war, ein Moralist an der Nordgrenze, einer von der schwarzmoralischen Sorte, Saint-Just in Amerika. Die Grenzer taten ihre Arbeit, aber in ihm glühte der Haß auf die Untugend. Er befand sich im Krieg, und der Feind war die
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