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Hartland

Hartland

Titel: Hartland
Autoren: Wolfgang Buescher
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dem Boden stapelten sich Wolldecken, auf einem Tisch Militärzeitschriften und Medikamente. Auch seine Hunde froren, sie watschelten zu ihren Decken auf beiden Seiten des Sessels.
    «Ich bin nicht von hier», begann er, während er mir eine Tasse Kaffee eingoß. «Ich hab das Haus vor ein paar Jahren gekauft, als ich die Diagnose kriegte. Ich sitze hier, nehme meine Pillen und schaue hinaus, so vergehen die Tage. Man sorgt für mich, jemand bringtmir, was ich brauche. Manchmal kommt Wild in Schußweite, ich jage vom Sessel aus, die beiden» – die Hunde sprangen auf, bereit, seinem Befehl zu folgen – «holen vom Feld, was ich schieße. Dann feiern wir ein Truthahnfest.» Er unterbrach sich. «Das interessiert Sie nicht, stimmt’s? Sie sind hinter diesen alten Schauergeschichten her. Ich sag’s Ihnen gleich, ich weiß nichts darüber. Es wird manches geredet, ich glaube, das meiste ist Phantasie. Da draußen vermodern ein paar alte Häuser, keine zwei Meilen von hier. Wollen Sie mir immer noch weismachen, Sie hätten sich verlaufen und keine Ahnung, wovon ich rede?»
    «Schon gut, schon gut.» Ich lenkte ein, ohne zu wissen, wohin. Keine zwei Meilen von hier – meine Karte kannte in dieser Gegend nur einen Ort. Er war verlassen, eine Geisterstadt, soviel ich wußte. «Meinen Sie Hartland?»
    «Was denn sonst?»
    «Wissen Sie etwas darüber?»
    Er lachte heiser. «Na also, ich kenne euch doch. So haben die anderen auch an der Tür gestanden. Sie kommen mit einem alten Foto, einem alten Zeitungsausriß, einer kam sogar aus New York, er wollte einen Film drehen. Ich frage mich, über was. Ich weiß nicht, was in die Leute gefahren ist, sie sind verrückt nach alten Indianergeschichten, nach Geisterstädten und all dem Zeug. Als ich jung war, hat sich niemand dafür interessiert, wir wollten hinaus ins Leben und nicht auf dem Dachboden in halbvermoderten Sachen herumwühlen.» Er nahm das Jagdgewehr, legte an, zielte durchs geschlossene Fenster auf einen Punkt in der Winterprärie, setzte es wieder ab. «Wie heißen Sie?»
    Ich nannte meinen Namen.
    «Können mich Big nennen. Bei der Armee kannten mich alle nur als Big. Na und, sagen Sie, irgend so ein Spitzname. Aber es ist mein Name, und glauben Sie mir, ich hab ihn mir verdient. Als ich die Diagnose bekam, sagte ich mir, geh in die Prärie, kauf dir da draußen ein Haus, verschwinde.» Er grinste. «Heute ist es leicht zu verschwinden und doch da zu sein.» Er fischte einen Laptop unter dem Sessel hervor, klappte ihn auf und wischte das eingebaute Kameraauge blank. «Klick – der alte Big in Camouflage, Gewehr in der einen Hand, in der andern den erlegten Truthahn. Klick – ein Gruß an die Kameraden, der gute alte Big auf allen Bildschirmen.» Er lehnte sich zurück. «Ich tu’s nicht für mich, ich tu’s für die Jungs. Ich will, daß alles so bleibt für sie. Sie sollen mich nicht so sehen – nicht so.» Er raffte sein Handtuch zusammen, es drohte herabzurutschen, und warf einen verzweifelten, angewiderten Blick auf die Schmerzmittel. «Wissen Sie, Big und ich, wir beide machen uns nichts vor. Wenn einer von uns die Chance hat, etwas länger den Kopf oben zu halten, dann ist es nicht der alte Mann, den Sie hier sehen, dann ist es Kamerad Big. Ich tu’s für ihn.»
    «Für einen Namen?» sagte ich.
    Er sah mich scharf an. «Ja, für einen Namen. Wie lange sind Sie im Land?»
    «Seit vorgestern.»
    «Nehmen Sie’s mir nicht übel, aber Sie müssen noch eine ganze Menge lernen. Namen sind – nein, sie sind nicht wichtig, sie sind manchmal alles.» Sein Blick glitt über das Altmännerchaos um ihn her. «Alles, wasman noch hat.» Er grinste herausfordernd. «Mir ist, als hättet ihr Deutschen das mal gewußt. Sie sind doch Deutscher, was? Ich erkenne den Akzent, kannte ihn mal ganz gut.»
    Wir schwiegen und schlürften unsere Kaffeetassen leer. Dann nahm er den Faden wieder auf. «Sie müssen lernen, die Fährten zu lesen, jeder Name ist eine. Auch Hartland, das ursprünglich Heartland hieß. Als in der Prärie erste Städte entstanden, waren große Träume im Spiel. Wer einen Haufen Bretter und Balken im Nirgendwo ablud, das erste Haus zusammennagelte, drum herum eine Stadt gründete und sie Heartland nannte, Herzland, der hoffte, sie würde eines Tages das Herz einer blühenden Gegend sein und ihn reich machen. Platzte der Traum, ließ er alles stehen und liegen und zog weiter. Wir haben so viele Geisterstädte, weil wir so viele Träume haben –
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