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Hartland

Hartland

Titel: Hartland
Autoren: Wolfgang Buescher
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und so viele geplatzte. Wir ziehen immer weiter, so ist es bis heute.» Er erhob sich, er wirkte müde. «Entschuldigen Sie, wenn ich Sie nicht zur Tür bringe, es strengt mich zu sehr an.»
    Ich bat ihn sitzenzubleiben. «Und danke für den Kaffee und für das Gespräch.»
    «Es liegt da drüben.» Er ließ sich in den Sessel zurückfallen und zeigte mir die Richtung durchs Fenster.
    Ich ging in die Richtung, die er mir gewiesen hatte, mit dem deutlichen Gefühl, beobachtet zu werden, es war mehr als ein Gefühl, ein leichter Druckpunkt im Kreuz, ich war mir sicher, er zielte auf mich, vielleicht mit dem Feldstecher, vielleicht mit dem Gewehr.
    Nach einer knappen Stunde schälte sich ein hoher, massiver Körper aus dem Schneegestöber. Ein
grain elevator.
Jeder Prärieort hatte so ein Wahrzeichen, daran erkannte man sie, ihre Holzkirchen waren unscheinbar dagegen. Die Kornspeicher waren die höchsten Erhebungen in der Prärie und, wenn nicht gerade Schnee fiel, weithin zu sehen – der Speicher von Hartland aber war dramatisch: Gotisch stand er da, abseits der Häuser auf freiem Feld, eine Kornkathedrale mit Seitenschiffen und Kapellen, dem Sturm trotzend und dem Verfall. Irgendwo scheuerte sich ein loses Eisen wund, es schrie wie ein verlassenes Maultier. Ein halbes Dutzend Häuser, das war Hartland, gezimmert aus Brettern, die ihre Farbe verloren hatten, bleich wie Schwemmholz am Meer stand es in der Prärie und moderte der Erde entgegen. Eine Holzscheune neigte sich schon zur Seite, Wind und Regen hatten Löcher in ihr Dach gerissen. Schnee trieb mir ins Gesicht und ließ mich blinzeln, ich sah nicht mehr viel. Heute noch Berthold zu erreichen, war unmöglich.
    Eine Tür unverschlossen zu finden, hatte ich nicht gehofft. Ich war noch nicht lange genug hier, um zu wissen, daß auch die Türen bewohnter Häuser selten verriegelt wurden. Gleich die erste Haustür gab nach. Ich durchsuchte das verlassene Haus, es würde meines sein für diese Nacht, und legte meine Vorräte auf den staubigen Küchentisch, einen Rest Schokolade und zwei Zigarillos. Die würde ich mir einteilen müssen, der Abend brach eben erst an.
    Dem Schneesturm entronnen und sicher zu sein vor der eiskalten Nacht und ihren Gefahren, war ein Geschenk, aber auch hier drinnen war es schneidend kalt. Ich zog über, was ich hatte, verzichtete auf das Sofa, hustendvom auffliegenden Staub, verkantete zwei Stühle, klemmte sie gegen die Tür, kroch in die Rettungshaut und suchte mir einen Platz auf dem Boden. Dann lag ich wach und lauschte dem Sturm – kein markerschütterndes Brausen, eher ein unheimliches Wehen und Treiben ums Haus. Wo er eine Ritze fand, blies er Schneepulver herein. Dem Anwachsen dieser harmlosen Verwehungen an Türen und Fenstern zuzuschauen, bereitete ein gewisses Behagen, nach und nach fand ich mich in meine Lage. Der Sturm erreichte mich nicht, das Haus hatte viele solcher Nächte überstanden, seitdem seine Bewohner es aufgegeben hatten, und würde auch diese Nacht überstehen. Dieser Gedanke und die Erschöpfung gewährten mir einen immer wieder von seltsamen Geräuschen und Wachbildern unterbrochenen Schlaf.
    Einmal saß der Alte in seinem Sessel am Fenster der Küche, auf deren Boden ich lag. Er stieß das Fenster auf, Schnee wehte in Mengen herein, er legte sein Gewehr an, zielte und schoß in die Nacht. Ich fuhr hoch, der Knall hallte nach, ja, es hatte geknallt, ganz deutlich, aber wo sollte ich nach der Ursache suchen, im Haus oder im Traum? Ich gab es auf, kroch wieder in meine Silberhaut und lag wach. Wo ich war, wußte ich immer noch nicht. Big hatte viel geredet, mir aber nichts über Hartland gesagt. Das mußte er auch nicht. Er hatte mir geraten, die Wortfährte zu lesen, und sie war deutlich genug. Die Spur im Schnee, die von Herzland nach Hartland führte, war die der zerbrochenen amerikanischen Träume. Vielleicht waren es deutsche Einwanderer gewesen, die hier gescheitert waren, dafür sprachdas deutsche
hart
, aber das tat nichts zur Sache, gescheitert waren viele. Verhungert, verdurstet, erschossen, verschollen. Irgendwann schrieb er nicht mehr nach Hause, der Sohn, der Vater, der Verlobte, der Mann, im letzten Brief hatte gestanden, er schließe sich nun einer Truppe von Goldgräbern an. Ganze Trecks waren nie angekommen und nie wieder heimgekehrt. Heartland, das Herz. Hartland, der Schmerz. Die beiden Enden der amerikanischen Parabel.
    Der Morgen war ein graues Gebet. Ich stand auf, aß den restlichen
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