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Hartland

Hartland

Titel: Hartland
Autoren: Wolfgang Buescher
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Beziehung zu dieser Siedlung in der Prärie, die, wie andere junge Städte der Epoche, zuerst den Namen eines Eisenbahnpioniers getragen hatte. Dann aber, auf dem Zenit der Popularität des deutschen Reichskanzlers, kurz nach dem Sieg über Frankreich, nahm sie dessenNamen an. Warum? Weil sie sich davon einen Reklameeffekt versprach, deutsche Investoren anziehen wollte.
    Man konnte die provinzielle List der Siedler von Norddakota belächeln oder bewundern. Aus diesem Geist heraus hatten sie auch ihr erstes Capitol errichtet, die Behauptung eines Staates mitten in der Prärie, die damals, in den achtziger Jahren des 19.   Jahrhunderts, Grasland und eben noch Siouxland gewesen war, Bisonland – ein Meer aus Gras. Immer wieder verfielen die Schreibenden unter den Weißen auf dieses Bild, wenn sie der Prärie ansichtig wurden, ihrer ungemessenen, Mensch und Tier desorientierenden Gleichförmigkeit.
    «Grüngelb und unermeßlich wie ein Meer lag die Prärie da. Kein Haus war zu sehen außer unseren eigenen Ställen und Schlafschuppen mitten in der Prärie. Kein Baum, kein Busch wuchs dort, nur Weizen und Gras, soweit das Auge reichte. Da waren auch keine Blumen, nur hin und wieder traf man mitten im Weizen die gelben Quasten des wilden Senfs an, der einzigen Blume der Prärie.»
    Vom Sommer 1887 ist hier die Rede, und der ihn mit so wenigen Strichen hinwarf, ein junger Auswanderer nach Amerika, Hausierer und Hungerleider daheim in Norwegen und nun Saisonarbeiter auf einer Farm in Norddakota, war der künftige Dichter Knut Hamsun. Er hatte versucht, sich in Amerikas Städten durchzuschlagen, als Straßenbauarbeiter und Schaffner in Chicago, als Festtagsredner bei einer der vielen Sekten der Neuen Welt, als Verkäufer bei einem Kaufmann namens Hart. Nachts schrieb er, hoffend, fiebernd,seine Sprache möge zu ihm kommen, er wußte, sie würde kommen. Im Sommer 1887 schuftete er sechzehn Stunden täglich auf den Weizenfeldern der nördlichen Great Plains, auf die ich von der höchsten Etage des Capitols gerade hinausschaute, zwanzig, dreißig Meilen ins Land. Einige der Ruhelosen seiner späteren Werke würde Hamsun durch diese Prärie geistern lassen, hungrig, gierig, von Farm zu Farm, von Flucht zu Flucht. Er kannte das gut.
    «Und dann hatten wir gepflügt und gesät, Heu gemäht und eingefahren, Weizen gemäht und gedroschen – und nun waren wir fertig und sollten Abrechnung haben. Frohen Herzens und Geld in der Tasche wanderten wir, zwanzig Mann stark, nach der nächsten Präriestadt, um einen Zug zu finden, der uns nach dem Osten hinabführen sollte. Der Aufseher begleitete uns, er wollte ein Abschiedsglas mit uns leeren. Wer nie einem solchen Abschied zwischen einer Schicht Präriearbeiter beigewohnt hat, kann sich kaum einen Begriff davon machen, wie mannhaft dabei getrunken wird. Jeder spendiert gleich eine Runde – das macht zwanzig Glas auf den Mann. Glaubt man aber, daß es hiermit zu Ende ist, so irrt man sehr, denn unter uns sind, weiß Gott, Gentlemen, die ihrerseits gleich fünf Runden auf einmal stiften wollen. Und Gott gnade dem Wirt, der einmal versuchen wollte, Einspruch gegen eine solche Unvernunft zu erheben. Er würde sofort von seinem eigenen Schanktisch vertrieben werden. Eine solche Bande von Sommerarbeitern schlägt alles nieder, was ihr in den Weg kommt. Sie reißt schon beim fünften Glas die Herrschaft über die Stadt an sich, und vondem Augenblick an regiert sie ohne den geringsten Einspruch. Die Ortspolizei ist machtlos, sie macht gemeinsame Sache mit der Bande, sie trinkt mit ihr. Und es wird mindestens zwei Tage getrunken, zwei Nächte gespielt und geprügelt und gejuchheit.»
    Was wäre aus Hamsun geworden, wäre er Amerikaner geworden – ein Landstreicher und Gelegenheitsarbeiter? Oder hätte er eine Farmertochter geheiratet und sein langes Leben als Maisbauer in Dakota beschlossen? Oder hätte es ihn doch als Prediger oder Verkäufer in die Stadt gezogen? Er blieb nicht in Amerika. Er kehrte heim und wurde Dichter und schrieb ein Buch, in dem er hart mit Amerika ins Gericht ging.
    Mir ging es gerade umgekehrt, ich wollte tiefer hinein. Je weiter ich nach Süden vorankam, desto löchriger wurde die Schneedecke. Das Land war nicht mehr weiß, es war tarnfarben gefleckt. Ich war jetzt so gut wie allein unterwegs, mein roter, roter Dodge die einzige Farbe hier draußen. Wieder traf mich die Wucht des leeren Landes, der großen Einsamkeit, die es gewährte. Die Weite, in die ich fuhr,
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