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Hartland

Hartland

Titel: Hartland
Autoren: Wolfgang Buescher
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kramte er aus einem seiner Kanäle einen alten Abenteuerfilm hervor.
    Und noch etwas war im Zimmer, dieser falsche Geruch. Restschwaden des Gute-Laune-Sprays hatten die Nacht überlebt, gestern versprüht, um alle anderen Gerüche zu überdecken, hier wie in allen Motels. Spuren von etwas Fruchtigem, ein Hauch von Vanille. Ich versuchte, nicht durch die Nase zu atmen, riß das Fenster auf und die Tür.
    Ein Blick auf die Armbanduhr, sechs Uhr früh. Draußen war es noch dunkel, Winterluft wehte herein. Ich schüttete meine Dinge, die ich gestern so hastig in den Rucksack hatte stopfen müssen, aufs Bett, packte neu und ging. In keinem der Zimmer links und rechts brannte Licht. Auch Portal schlief noch, die Häuser hier und da schwach beleuchtet von einem Scheinwerfer, einer einzelnen Lampe.
    Als ich am Saloon vorbeikam, fiel mir der gestrige Abend ein. Hungrig war ich gewesen nach dem Ringen, und der Saloon war der einzige Ort in Portal, an dem es etwas zu essen gab. Redneckmusik lief, an den Wänden hingen verstaubte Wagenräder, Cowboyhüte, Revolver und Flinten, es roch nach Bier und Bratfett, aber es war warm und belebt, darum war es gut. An einem der Tische mochte ich nicht sitzen, ich hatte von Tischen und Stühlen erst einmal genug. Ich stellte mich an die Bar, und mit jedem Ausatmen fiel die Grenze von mir ab, Stück für Stück. Er hatte mich nicht besiegt. Ich war hier. Hier in diesem schäbigen Saloon. Und würde durch Amerika gehen, nach Süden, immer nach Süden.
    Am großen Tisch hinter mir saß ein spindeldürrer Kerl, er trank und spielte Dart mit den anderen dort. Immer, wenn er aufstand, um seine Pfeile zu werfen, sah ich, wie lang und hager er war. Sogar die engen Röhren seiner Jeans schlackerten ihm um die Beinstöcke, sein Haar hing in Fransen herab, seine Hüfte, so schien es, vermochten zwei kräftige Hände zu umgreifen. Er hatte ein graues, unangenehmes Gesicht und konnte seinen Jähzorn kaum beherrschen, wenn er schlecht warf. Er warf oft schlecht.
    Irgendwann ging er in einen Nebenraum, den ich gut einsehen konnte von meinem Platz an der Bar, um den kleinen Jungen zu quälen, der dort Videos schaute. Er fuhr ihn an und packte ihn grob am Nacken, der Kleine rollte sich unter dem harten Griff zusammen wie ein Kätzchen. Sobald der Spindeldürre von ihm abließ und zurück zum Tisch ging, an dem auch die Mutter des Jungen saß, die all das nicht störte, griff der Kleine zur Fernbedienung und kroch zurück in seine Innenwelt mit ihren Helden und Heldentaten.
    Was tat er um diese frühe Stunde, schlief er noch? Über dem Saloon war alles dunkel und still. Würde ihn ein gutes Wort wecken oder die harte Hand des Spindeldürren oder das fahle Frühlicht, das sich jetzt in die wenigen Straßen von Portal stahl? Halt durch, roll dich ein, wenige Jahre noch, und du wirst fortgehen, heimlich im Morgengrauen, an einem Morgen wie diesem, solange halt durch.
    Weg von hier wollte auch ich, fort aus der Gegend der fanatischen Gärtner und hungrigen Berglöwen. Als ich mich irgendwann umdrehte, war von Portal nur noch der Wasserturm zu sehen, dann verlor auch er sich in der weißen Leere von Dakota. Selten nur kam mir ein Auto entgegen. Einen Menschen außerhalb dieser wenigen Pickups bekam ich nicht zu sehen, und so würde es bleiben. Die einsamen Farmen, an denen ich vorüberging, konnte ich an einer Hand abzählen. Keine Sichtung, geschweige denn Begegnung, nirgendwo ein Mensch. Lag es am Winter, der nicht enden wollte, oder war es immer so? Ich wußte es nicht.
    Vor Tagen noch hatte ich so vieles gewußt. Niemalshatte ich ein Land so wohlinformiert, so bildersatt betreten wie dieses. Über Amerika hatte ich mehr gelesen, aus Amerika mehr Filme und Lieder, mehr Namen und Momente im Kopf als von jedem anderen Land, und das waren nur die altmodischen Verfahren. Die neumodischen hatten mir Geistreisen hierher angeboten, am Bildschirm war ich ausgiebig im Grenzgebiet unterwegs gewesen: die Great Plains aus nächster Nähe und Anschauung, herangezoomt, Straßen, Flüsse und Farmhäuser mit Tonnendach. An Kreuzungen stehend, hatte ich mich in Präriestädtchen umsehen dürfen, in 36 0-Grad -Schwenks, und gemeint, das Quietschen über mir hängender Ampeln zu hören. Jeden Ort hier kannte ich beim Namen, jeden Teich, jeden Hügel, winzigste Siedlungen waren mir geläufig, sogar solche, die es gar nicht mehr gab, die Geisterstädte von Dakota. Jetzt war ich wirklich hier und sah das alles wirklich, und mein
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