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Harter Schnitt

Harter Schnitt

Titel: Harter Schnitt
Autoren: Karin Slaughter
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ließ nicht locker. » Wohnen Sie nicht an der Linwood?«
    » Sie müssen in die andere Richtung.«
    » Ich kann durch den Park abkürzen.« Sie setzte sich in Bewegung, sodass ihm keine andere Wahl mehr blieb. Schweigend gingen sie die Ponce de Leon hinunter. Der Verkehr war so laut, dass er ihre Sprachlosigkeit problemlos übertönte, aber nicht einmal die Auspuffgase der Autos konnten überdecken, wie strahlend schön dieser Frühlingstag war. Pärchen gingen Hand in Hand die Straße entlang. Mütter schoben Kinderwägen. Jogger sprinteten über die vierspurige Straße. Die Bewölkung des frühen Morgens war nach Osten abgezogen, jetzt zeigte sich ein jeansblauer Himmel. Eine leichte Brise wehte. Sara verschränkte die Hände hinter dem Rücken und schaute den aufgeplatzten Bürgersteig entlang. Baumwurzeln durchbrachen den Beton wie knotige, alte Zehen.
    Sie sah Will an. Die Sonne ließ den Schweiß auf seiner Stirn funkeln. Auf seinem Gesicht waren zwei Narben, von denen Sara keine Ahnung hatte, woher sie stammten. Irgendwann war seine Oberlippe aufgerissen und schlecht zusammengenäht worden, sodass sein Mund jetzt etwas ordinär aussah. Die andere Narbe lief am linken Unterkiefer entlang und verschwand in seinem Kragen. Als sie ihn kennengelernt hatte, hatte sie die Narben seinem jugendlichen Ungestüm zugeschrieben, doch da sie nun seine Geschichte kannte und wusste, dass er in staatlicher Obhut aufgewachsen war, nahm sie an, dass hinter den Verletzungen eine dunklere Geschichte steckte.
    Will drehte sich ihr zu, und sie wandte den Blick ab. Er sagte: » Dale scheint ja ein recht netter Kerl zu sein.«
    » Ja, ist er.«
    » Arzt, nehme ich an.«
    » Genau.«
    » Sah aus wie ein guter Küsser.«
    Sie lächelte.
    Will drückte Betty ein wenig fester an sich, um sie besser im Griff zu haben. » Schätze, Sie gehen mit ihm.«
    » Das war heute unser erstes Date.«
    » Sie wirkten aber vertrauter.«
    Sara blieb stehen. » Wie geht’s Ihrer Frau, Will?«
    Er antwortete nicht sofort. Sein Blick war über ihre Schulter in die Ferne gerichtet. » Ich habe sie seit vier Monaten nicht gesehen.«
    Irgendwie fühlte Sara sich im Stich gelassen. Seine Frau war verschwunden, und Will hatte sie nicht angerufen. » Sind Sie getrennt?«
    Er trat einen Schritt beiseite, sodass ein Jogger vorbeilaufen konnte. » Nein.«
    » Wird sie vermisst?«
    » Nicht direkt.«
    Ein MARTA -Bus hielt im Bordstein, sein Motor füllte die Luft mit einem anhaltenden Grummeln. Sara hatte Angie Trent vor knapp einem Jahr kennengelernt. Ihr mediterranes Aussehen und die kurvenreiche Figur waren genau das, woran Mütter dachten, wenn sie ihre Söhne vor Flittchen warnten.
    Der Bus fuhr wieder an. Sara fragte: » Wo ist sie?«
    Will atmete lang aus. » Sie verlässt mich sehr oft. Genau das tut sie. Sie geht einfach weg, und dann kommt sie zurück. Und dann bleibt sie eine Weile, und dann verschwindet sie wieder.«
    » Wohin geht sie?«
    » Ich habe keine Ahnung.«
    » Sie haben sie nie gefragt?«
    » Nein.«
    Sara tat erst gar nicht so, als würde sie verstehen. » Warum nicht?«
    Er schaute auf die Straße, den vorbeiziehenden Verkehr. » Das ist kompliziert.«
    Sie legte ihm die Hand auf den Arm. » Erklären Sie es mir.«
    Als er sie anschaute, sah er absolut lächerlich aus mit dem winzigen Hund in der einen Hand und der Pizzaschachtel in der anderen.
    Sara trat näher an ihn heran und legte ihm die Hand auf den Arm. Sie spürte die harten Muskeln unter seinem T-Shirt, die Hitze seiner Haut. Im strahlenden Sonnenlicht wirkten seine Augen unwirklich blau. Er hatte zarte Wimpern, blond und weich. An seinem Unterkiefer war eine stoppelige Stelle, die er beim Rasieren übersehen hatte. Sara war ein paar Zentimeter kleiner als er. Sie stellte sich auf Zehenspitzen, um ihm direkt in die Augen sehen zu können.
    Sie sagte: » Reden Sie mit mir.«
    Er schwieg, und sein Blick wanderte über ihr Gesicht, blieb kurz an den Lippen hängen, bevor er ihr wieder in die Augen schaute.
    Schließlich sagte er: » Es gefällt mir, wenn Sie Ihre Haare offen tragen.«
    Ein schwarzer SUV , der mitten auf der Straße hart bremste, nahm Sara die Möglichkeit zu einer Reaktion. Knapp zwanzig Meter weiter vorn kam er zum Stehen und stieß dann wieder zurück. Die Reifen quietschten über den Asphalt. Gummigestank füllte die Luft. Das Fenster wurde heruntergelassen.
    Wills Chefin Amanda Wagner schrie: » Einsteigen!«
    Sie waren beide zu verblüfft, um sich zu rühren.
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