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Harry Bosch 15 - Neun Drachen

Harry Bosch 15 - Neun Drachen

Titel: Harry Bosch 15 - Neun Drachen
Autoren: Michael Connelly
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zurück. Ihm war egal, was für ein Fall es war. Hauptsache, ein Fall. Es war wie mit allem anderen. Man kam nur aus der Übung und verlor den Biss. Das wollte Bosch nicht.
    Ferras hatte die Hände an die Hüften gestemmt und schaute zu der Uhr an der Wand über den Anschlagtafeln hinauf.
    »Scheiße«, zischte er. »Jedes Mal wir.«
    »Was heißt hier ›jedes Mal wir‹?«, entgegnete Bosch. »Wir haben schon einen Monat keinen Fall mehr bekommen.«
    »Na ja, daran hatte ich mich eben gewöhnt.«
    »Also, wenn du keine Morde machen willst, gibt es immer noch Autodiebstähle. Da kannst du jeden Tag Punkt fünf nach Hause gehen.«
    »Klar, genau.«
    »Dann lass uns mal gehen.«
    Bosch verließ sein Abteil und ging in Richtung Tür. Ferras folgte ihm und holte sein Handy heraus, um seine Frau anzurufen und ihr die schlechte Nachricht zu überbringen. Auf dem Weg nach draußen hoben beide Männer die Hand und tätschelten den kurzen Rüssel des Ebers, damit er ihnen Glück brächte.

2
    B osch brauchte Ferras auf der Fahrt nach South L.A. keine Standpauke zu halten. Sein Schweigen war Standpauke genug. Sein junger Partner schien unter dem Druck dessen, was nicht gesagt wurde, immer weiter einzuknicken, und irgendwann konnte er einfach nicht mehr an sich halten.
    »Das macht mich noch total wahnsinnig«, platzte es aus ihm heraus.
    »Was?«, fragte Bosch.
    »Die Zwillinge. Sie machen irrsinnig viel Arbeit, und dazu dieses ständige Geplärre. Der reinste Dominoeffekt. Einer wacht auf, und davon wird dann der andere wach. Und davon wacht dann auch der Große auf. Niemand kommt noch zum Schlafen, und meine Frau fängt langsam an …«
    »Was?«
    »Ich weiß auch nicht, sie dreht einfach allmählich durch. Ständig ruft sie mich an und will wissen, wann ich nach Hause komme. Also komme ich nach Hause und kriege prompt gleich als Erstes die Jungs aufgedrückt. Ich komme einfach nicht dazu, mal abzuschalten. Immer nur Arbeit, Kinder, Arbeit, Kinder, Arbeit, Kinder. Jeden Tag.«
    »Nehmt euch doch ein Kindermädchen.«
    »Ein Kindermädchen können wir uns nicht leisten. Jedenfalls nicht in der momentanen Situation. Überstunden bekommen wir ja auch keine mehr bezahlt.«
    Bosch wusste nicht, was er sagen sollte. Seine Tochter Madeline war vor einem Monat dreizehn geworden und wohnte fast zehntausend Meilen von ihm entfernt. Er war nie direkt daran beteiligt gewesen, sie aufzuziehen. Er sah sie vier Wochen im Jahr – zwei davon in Hongkong und zwei in L.A. –, und damit hatte es sich. Wer war er also, einem Vollzeitvater mit drei kleinen Kindern, darunter Zwillinge, gute Ratschläge zu erteilen?
    »Tja, was soll ich dazu sagen? Du weißt, du kannst voll auf meine Unterstützung zählen. Ich tue, was ich kann, wenn es irgendwie möglich ist. Aber …«
    »Ich weiß, Harry. Ich weiß das durchaus zu schätzen. Es ist nur das erste Jahr mit den Zwillingen, verstehst du? Wenn sie ein bisschen älter werden, wird alles wesentlich leichter.«
    »Schon, aber was ich damit eigentlich sagen will, ist, dass es vielleicht nicht nur an den Zwillingen liegt. Vielleicht liegt es auch an dir, Ignacio.«
    »An mir? Was soll das jetzt wieder heißen?«
    »Es soll heißen, dass es vielleicht an dir liegt. Vielleicht bist du zu früh zurückgekommen – hast du dir darüber schon mal Gedanken gemacht?«
    Ferras zog einen Flunsch und antwortete nicht.
    »Ich meine, so was soll vorkommen«, fuhr Bosch fort. »Es hat dich einmal erwischt, und schon fängst du an, dir Gedanken zu machen, ob der Blitz ein zweites Mal einschlagen könnte.«
    »Also wirklich, Harry, was soll das jetzt wieder für ein Scheiß? Was das angeht, habe ich nun echt keine Probleme. Nicht die geringsten. Ich rede hier von chronischem Schlafmangel und dass ich total auf dem Zahnfleisch gehe und einfach nicht dazu komme, mich wieder zu berappeln, weil mir sofort meine Frau auf die Pelle rückt, kaum dass ich nach Hause komme, verstehst du?«
    »Na ja, das musst du schließlich am besten wissen, Partner.«
    »Genau, Partner. Das muss ich am besten wissen. Glaub mir, ich kann mir schon von ihr genügend anhören. Da brauchst jetzt nicht auch noch du mit so einer Scheiße ankommen.«
    Bosch nickte, und damit war genug gesagt. Er wusste, wann er aufhören musste.
    Die Adresse, die Gandle ihnen gegeben hatte, war im Siebzigerblock der South Normandie Avenue. Nur ein paar Straßen weiter befand sich die berüchtigte Kreuzung von Florence und Normandie, wo von
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