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Harry Bosch 15 - Neun Drachen

Harry Bosch 15 - Neun Drachen

Titel: Harry Bosch 15 - Neun Drachen
Autoren: Michael Connelly
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Lucas. »Wahrscheinlich hat der Täter sie eingesammelt, und dann war er auch noch so schlau, die DVD aus der Anlage hinten zu nehmen.«
    Bosch nickte. Die Kollegen von der Streife wollten immer helfen, aber das waren lauter Informationen, die Bosch noch nicht brauchte und die irreführend sein konnten.
    »Außer er hatte einen Revolver. Dann hätte er keine Hülsen einsammeln müssen.«
    »Schon klar«, meinte Lucas. »Bloß sind hier unten nicht allzu viele Revolver in Umlauf. Wer will bei einem Drive-by-Shooting schon mit nur sechs Kugeln in seiner Knarre erwischt werden.«
    Lucas wollte Bosch zeigen, dass er wusste, was hier unten in South L.A. Sache war. Bosch war nur auf Besuch hier.
    »Ich werde es mir merken«, sagte Bosch.
    Dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf das Opfer und blickte sich wortlos um. Er war sich ziemlich sicher, dass der Tote derselbe Mann war, dem er vor vielen Jahren in diesem Laden begegnet war. Er befand sich sogar an derselben Stelle wie damals, hinter dem Ladentisch. Und Bosch konnte ein Päckchen Zigaretten in seiner Hemdtasche stecken sehen.
    Ihm fiel auf, dass die rechte Hand des Toten voll Blut war. Das war nicht weiter ungewöhnlich. Es war eine ganz normale menschliche Reaktion, die Hände auf eine Verletzung zu legen, um sie zu schützen und die Heilung zu beschleunigen. Ein angeborener Instinkt. Entsprechend hatte wahrscheinlich auch der Inhaber des Getränkemarkts an seine Brust gefasst, als ihn der erste Schuss getroffen hatte. Der Abstand zwischen den Schusswunden, die ein Dreieck bildeten, betrug jeweils etwa zwölf Zentimeter. Bosch wusste, dass drei aus nächster Nähe rasch hintereinander abgefeuerte Schüsse normalerweise anders angeordnet waren. Daraus schloss er, dass zunächst nur ein Schuss auf das Opfer abgegeben worden war, und als der alte Mann daraufhin zu Boden ging, hatte sich der Täter wahrscheinlich über den Ladentisch gebeugt und zwei weitere Male auf ihn geschossen. Und das war der Grund für die Streuung.
    Die Kugeln hatten die Brust des Opfers durchschlagen und Herz und Lunge massiv geschädigt. Das durch den Mund ausgetretene Blut war ein Zeichen dafür, dass der Tod nicht sofort eingetreten war. Das Opfer hatte noch zu atmen versucht. In all den Jahren als Mordermittler hatte Bosch zumindest eines gelernt. So etwas wie einen leichten Tod gab es nicht.
    »Kein Kopfschuss«, sagte Bosch.
    »Richtig«, stimmte Ferras zu. »Was bedeutet das?«
    Bosch merkte, dass er laut nachgedacht hatte.
    »Vielleicht gar nichts. Bei drei Schüssen in die Brust möchte man eigentlich meinen, der Täter wollte auf Nummer sicher gehen. Aber warum dann keinen Kopfschuss?«
    »Das ist ein gewisser Widerspruch.«
    »Vielleicht.«
    Erst jetzt wandte Bosch den Blick von der Leiche ab und schaute sich aus seinem niedrigen Blickwinkel um. Dabei stach ihm sofort die Pistole ins Auge, die in einem an der Unterseite des Ladentischs angebrachten Holster steckte. Dort wäre sie bei einem Überfall leicht zugänglich gewesen, aber sie war nicht einmal ein Stück hervorgezogen worden.
    »Hier drunter steckt eine Pistole«, sagte Bosch. »Sieht nach einer Fünfundvierziger in einem Holster aus. Aber der alte Mann kam nicht mehr dazu, sie zu ziehen.«
    »Wahrscheinlich ist der Täter reingekommen und hat den Alten erschossen, bevor er nach seiner Kanone greifen konnte«, vermutete Ferras. »Vielleicht war in dem Viertel hier sogar bekannt, dass der Alte eine Kanone unter dem Ladentisch hatte.«
    Lucas machte mit dem Mund ein Geräusch, als wäre er anderer Meinung.
    »Was ist, Sergeant?«, fragte Bosch.
    »Die Pistole muss neu sein«, sagte Lucas. »In den fünf Jahren, die ich inzwischen hier bin, ist der Mann mindestens sechsmal überfallen worden. Soweit ich weiß, hat er nie zur Waffe gegriffen. Das ist das erste Mal, dass ich überhaupt etwas von einer Pistole höre.«
    Bosch nickte. Das war eine hilfreiche Beobachtung. Er drehte den Kopf, um den Sergeant über seine Schulter hinweg zu fragen:
    »Was können Sie mir über den Zeugen sagen?«
    »Äh, sie ist eigentlich keine richtige Zeugin«, erwiderte Lucas. »Es ist Mrs. Li, die Frau des Opfers. Sie kam in den Laden, um ihm sein Essen zu bringen, und dann fand sie ihn. Sie ist im Hinterzimmer, aber Sie werden einen Dolmetscher brauchen. Wir haben bei der ACU angerufen und einen Chinesen angefordert.«
    Bosch schaute noch einmal in das Gesicht des Toten, und als er sich danach aufrichtete, gaben beide Knie ein lautes
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