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Harry Bosch 07 - Dunkler als die Nacht

Harry Bosch 07 - Dunkler als die Nacht

Titel: Harry Bosch 07 - Dunkler als die Nacht
Autoren: Michael Connelly
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zugewandt stand. Sie sprach ganz leise. Falls Graciela im Haus mithörte, konnte sie nichts verstehen.
    »Wissen Sie noch, was Sie mir bei Gracielas Schwester gesagt haben? Sie haben gesagt, Sie hätten eine zweite Chance im Leben bekommen und dafür müsste es einen Grund geben. Jetzt haben Sie mit ihrer Schwester und ihrem Sohn und inzwischen sogar Ihrem eigenen Kind ein neues Leben angefangen. Das ist eine tolle Sache, Terry, finde ich wirklich. Aber trotzdem kann das nicht der Grund gewesen sein, nach dem Sie gesucht haben. Vielleicht denken Sie, er ist es, aber er ist es nicht. Wenn Sie ganz ehrlich sind, wissen Sie das auch. Sie waren gut darin, diese Leute zu fangen. Was ist im Vergleich dazu schon Fische fangen?«
    McCaleb nickte kaum merklich und hatte kein gutes Gefühl, dass er es so bereitwillig tat.
    »Lassen Sie mir die Sachen da«, sagte er schließlich. »Ich rufe Sie an.«
    Auf dem Weg zur Tür hielt Winston nach Graciela Ausschau, sah sie aber nirgendwo.
    »Wahrscheinlich hat sie sich mit der Kleinen zurückgezogen«, sagte McCaleb.
    »Dann grüßen Sie sie schön von mir.«
    »Mache ich.«
    Auf dem Rest des Wegs zur Tür herrschte verlegenes Schweigen zwischen ihnen. Erst als McCaleb sie öffnete, sagte Winston: »Und wie ist es, Terry? Vater zu sein?«
    »Manchmal absolut unvergleichlich, manchmal zum Verzweifeln.«
    Seine Standardantwort. Dann dachte er kurz nach und fügte etwas hinzu, was er schon ab und zu gedacht, aber nie gesagt hatte, nicht einmal zu Graciela.
    »Es ist, als hielte einem ständig jemand eine Pistole an den Kopf.«
    Winston sah ihn verdutzt und vielleicht sogar ein bisschen besorgt an.
    »Wie das?«
    »Weil ich weiß, wenn ihr irgendetwas zustößt, egal was, dann ist mein Leben zu Ende.«
    Sie nickte.
    »Ich glaube, das kann ich verstehen.«
    Sie ging durch die Tür. Sie sah ziemlich albern aus, als sie wegfuhr. Eine mit allen Wassern gewaschene Ermittlerin des Morddezernats in einem Golf-Cart.

2
    D as sonntägliche Abendessen mit Graciela und Raymond war eine stille Angelegenheit. Sie aßen weißen Seebarsch, den McCaleb am Vormittag während einer Chartertour auf der Rückseite der Insel in der Nähe der Landenge gefangen hatte. Seine Charterkunden wollten die Fische, die sie fingen, immer behalten, überlegten es sich aber oft anders, wenn sie in den Hafen zurückkehrten. Es hatte etwas mit dem Tötungstrieb bei Männern zu tun, glaubte McCaleb. Es genügte ihnen nicht, ihre Beute bloß zu fangen. Sie mussten sie auch töten. Das hieß, dass es in dem Haus in der La Mesa zum Abendessen oft Fisch gab.
    McCaleb hatte den Fisch zusammen mit ein paar Maiskolben, noch in der Hülse, auf der Veranda gegrillt. Graciela hatte Salat und Brötchen gemacht. Beide hatten ein Glas Weißwein vor sich stehen, Raymond ein Glas Milch. Das Essen war gut, aber das Schweigen nicht. McCaleb sah zu Raymond hinüber und merkte, er hatte mitbekommen, was zwischen den Erwachsenen lief, und sich davon anstecken lassen. McCaleb erinnerte sich, dass es ihm als kleinem Jungen genauso gegangen war, wenn sich seine Eltern gegenseitig mit Schweigen beworfen hatten. Raymond war der Sohn von Gracielas Schwester Gloria. Seinen Vater hatte der Junge nie kennengelernt. Als Glory vor drei Jahren starb – ermordet wurde –, hatte Graciela Raymond zu sich genommen. McCaleb hatte sie beide kennen gelernt, als er Ermittlungen zu dem Fall anstellte.
    »Wie war’s beim Softball heute?«, fragte McCaleb schließlich.
    »Ganz okay.«
    »Hast du mal getroffen?«
    »Nein.«
    »Keine Sorge, das wird schon noch. Du darfst nur nicht aufgeben. Du musst es nur immer wieder versuchen.«
    McCaleb nickte. Der Junge hatte am Morgen mit aufs Boot kommen wollen, hatte aber nicht gedurft. Die Tour war für sechs Männer vom Festland. Mit McCaleb und Buddy waren das acht Mann an Bord der Following Sea und mehr durften nach den Sicherheitsbestimmungen nicht aufs Boot. McCaleb verstieß nie gegen diese Bestimmungen.
    »Also, das nächste Mal fahren wir erst am Samstag wieder raus. Im Moment sind nur vier Leute für die Tour angemeldet. Wegen der Wintersaison bezweifle ich, dass noch jemand dazustößt. Wenn es so bleibt, kannst du mitkommen.«
    Das dunkle Gesicht des Jungen schien sich aufzuhellen und mit einem energischen Nicken bohrte er seine Gabel in das reinweiße Fleisch des Fisches auf seinem Teller. Die Gabel sah groß aus in seiner Hand und McCaleb empfand flüchtige Traurigkeit wegen des Jungen. Raymond war für einen
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