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Harry Bosch 07 - Dunkler als die Nacht

Harry Bosch 07 - Dunkler als die Nacht

Titel: Harry Bosch 07 - Dunkler als die Nacht
Autoren: Michael Connelly
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Zehnjährigen auffallend klein. Das machte ihm schwer zu schaffen und er fragte McCaleb oft, wann er endlich wachsen würde. McCaleb versicherte ihm dann immer, dass es bald so weit wäre, aber insgeheim dachte er, der Junge würde immer klein bleiben. Er wusste, dass seine Mutter durchschnittlich groß gewesen war, aber sein Vater, hatte ihm Graciela erzählt, war sehr klein gewesen – was seine Körpergröße und sein menschliches Format anging. Er hatte sich vor Raymonds Geburt aus dem Staub gemacht.
    Da er zu klein war, um beim Sport mit den anderen Jungen in seinem Alter mithalten zu können, und immer als Letzter gewählt wurde, zog es Raymond zu anderen Formen des Zeitvertreibs hin als zu Mannschaftssportarten. Seine große Leidenschaft war Angeln und an seinen freien Tagen nahm ihn McCaleb gewöhnlich mit in die Bucht hinaus, um Heilbutt zu fangen. Wenn er eine Chartertour machte, bettelte der Junge immer, mitgenommen zu werden, und wenn genug Platz war, durfte er als zweiter Maat mitkommen. Es war McCaleb immer eine besondere Freude, einen Fünfdollarschein in einen Umschlag zu stecken, ihn zu verschließen und ihn am Ende des Tages dem Jungen zu geben.
    »Wir werden dich im Ausguck brauchen«, sagte McCaleb. »Diese Leute wollen nach Süden, Marlins fangen. Das wird ein langer Tag.«
    »Stark!«
    McCaleb lächelte. Raymond machte gern den Ausguck. Er hielt dann mit dem Fernglas Ausschau nach schwarzen Marlins, die an der Oberfläche schliefen oder sich drehten. Das konnte er inzwischen ziemlich gut. McCaleb sah zu Graciela hinüber, um sich mit ihr zu freuen, aber sie hielt den Blick auf ihren Teller gesenkt. Auf ihren Lippen lag kein Lächeln.
    Ein paar Minuten später war Raymond mit dem Essen fertig und fragte, ob er aufstehen und in seinem Zimmer Computer spielen dürfe. Graciela bat ihn, den Ton leise zu stellen, damit das Baby nicht wach wurde. Der Junge trug seinen Teller in die Küche und dann waren Graciela und McCaleb allein.
    Er verstand, warum sie so still war. Sie wusste, sie konnte ihn schlecht daran hindern, sich an einem Ermittlungsverfahren zu beteiligen, denn vor drei Jahren hatte er auf ihre Bitten hin Ermittlungen zum Tod ihrer Schwester angestellt, was schließlich dazu geführt hatte, dass sie ein Paar geworden waren. In dieser ironischen Verquickung waren ihre Gedanken gefangen.
    »Graciela«, begann McCaleb. »Ich weiß, du willst nicht, dass ich es mache, aber …«
    »Das habe ich nicht gesagt.«
    »Musstest du ja auch nicht. Ich kenne dich. Und das Gesicht, das du machst, seit Jaye hier war, gibt mir deutlich zu verstehen, dass …«
    »Ich will nur nicht, dass alles anders wird. Mehr nicht.«
    »Das kann ich verstehen. Ich will ja auch nicht, dass etwas anders wird. Und es wird auch nichts anders werden. Alles, was ich machen werde, ist, mir eine Akte und ein Video ansehen und ihr sagen, was ich davon halte.«
    »Dabei wird es nicht bleiben. Ich kenne dich doch auch. Ich habe dich so was schon machen sehen. Du wirst dich in die Sache verbeißen. Das ist doch der Grund, warum du so gut in so was bist.«
    »Ich werde mich nicht festbeißen. Ich werde nur tun, worum sie mich gebeten hat, und damit hat es sich. Ich werde es nicht mal hier machen. Ich werde mit dem, was sie mir gegeben hat, aufs Boot gehen. Es wird also nicht mal im Haus sein. Einverstanden? Ich will es nicht im Haus haben.«
    Er wusste, er würde es auch ohne ihr Einverständnis tun, aber trotzdem war er darauf bedacht, es von ihr zu erhalten. Ihre Beziehung war noch so neu, dass er bei allem ihre Zustimmung zu suchen schien. Darüber hatte er schon des öfteren nachgedacht und am Ende war es jedesmal auf dieselbe Frage hinausgelaufen: ob es etwas damit zu tun hatte, dass es sich hier um seine zweite Chance handelte. Er hatte in den vergangenen drei Jahren eine Menge Schuldgefühle abgearbeitet, aber trotzdem tauchte dieser Punkt alle paar Kilometer wie eine Straßensperre wieder vor ihm auf. Irgendwie hatte er das Gefühl, solange er für seine Existenz nur die Zustimmung dieser einen Frau gewinnen könnte, wäre alles in Ordnung. Seine Kardiologin hatte es das schlechte Gewissen der Überlebenden genannt. Er war noch am Leben, weil ein anderer Mensch gestorben war, und brauchte deshalb das Gefühl, seine Schuld irgendwie begleichen zu können. Aber McCaleb fand, ganz so einfach war die Sache nicht.
    Graciela runzelte die Stirn, aber ihrer Schönheit tat das in seinen Augen keinen Abbruch. Ihre Haut hatte einen
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