Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Harper Connelly 01 - Grabesstimmen-neu-ok-10.12.11

Harper Connelly 01 - Grabesstimmen-neu-ok-10.12.11

Titel: Harper Connelly 01 - Grabesstimmen-neu-ok-10.12.11
Autoren: Charlaine Harris
Vom Netzwerk:
ich nicht. Ich konnte
auch nicht zulassen, dass sie solche Lügen erzählt. Ich redete mir selbst ein,
dass es eine Lüge war. Also ging ich eines Nachmittags zu ihr. Sie hatte die
Haustür erwartungsgemäß nicht verriegelt, und da bin ich mit der Waffe rein.
Aber sie lag in der Badewanne und sang vor sich hin.«
    Hollis sah
aus, als müsse er sich gleich übergeben.
    »Ich bin
einfach nur ins Bad, hab ihre Fersen gepackt und daran gezogen«, fuhr Sybil
fort. »Und nach einer Minute hat sie nicht mehr versucht, wieder hochzukommen.«
Sybil stand in ihren Erinnerungen verloren da, während die Waffe neben ihr auf
dem Boden lag.
    Mary Neil
schrie entsetzt auf. Paul Edwards warf sich auf Sybils Waffe, und Tolliver
machte einen Satz, um mich hinter dem Sofa zu Boden zu reißen. Er schlang die
Arme um mich. Natürlich kann eine Kugel das Sofa genauso leicht durchschlagen
wie Butter. Aber wie heißt es so schön? Aus den Augen, aus dem Sinn.
    Ein Schuss
wurde abgefeuert, und es erhob sich noch mehr Geschrei. Mary Neils Stimme war
eindeutig auszumachen. Als es vorbei war, streckten wir unsere Köpfe hinter dem
Sofa hervor.
    »Ihr könnt
aufstehen«, sagte Hollis mit schwerer Stimme. Er klang wie ein uralter Mann.
Tolliver erhob sich zuerst und half mir auf. Mein schwaches Bein gab ein
paarmal nach und war dann äußerst wackelig.
    Paul Edwards
kniete auf dem Boden und hielt sich die Schulter. Hinter ihm in der Wand war
eine Kerbe zu sehen, und auf dem Teppich funkelten Glassplitter. Mary Nell
stand da wie erstarrt, das Gesicht Paul zugewandt. Sybil sah ihre Tochter an.
    »Du mieses
Luder du, du hast meine Schulter ausgerenkt«, jammerte Paul.
    »Ich hab ihn
getroffen«, sagte Mary Nell mit einer beunruhigend kindlichen Stimme. »Ich habe
den Glasapfel nach ihm geworfen und getroffen.«
    »Wolltest du
seinen Kopf treffen?«, fragte Hollis. »Ich wünschte, du hättest etwas höher
gezielt.«
    Sie lachte
verzweifelt auf.
    »Warum
erschießen Sie mich nicht, Hollis?« Sybils Stimme war tief und hohl. »Kommen
Sie, ich weiß, dass Sie es wollen. Es wäre mir lieber, Sie erschießen mich, als
dass ich verurteilt werde.«
    »Was sind
Sie nur für eine egoistische Schlampe«, sagte Hollis. »Klar. Ich erschieße Sie
vor den Augen Ihrer Tochter. Damit sie noch eine schöne Erinnerung mehr hat,
von der sie zehren kann, was? Können Sie zur Abwechslung einmal an etwas
anderes denken als an sich selbst?«
    Kurz darauf
sagte er mit einer Stimme, die schon deutlich normaler klang: »Tolliver, bitte
ruf im Büro des Sheriffs an.« Mein Bruder klopfte auf seine Hosentasche. Kein
Handy. Er schob sich an der kleinen Gruppe vorbei in die Küche, und ich hörte,
wie er die Telefontasten drückte und etwas sagte. Das Unwetter war vorbei, man
hörte nur noch die Regenrinne gurgeln.
    Ich kam mir
vor, als beobachtete ich die Szene durch das falsche Ende eines Fernglases.
Diese vier armseligen Gestalten. Sie wirkten wie ganz weit weg, so klein waren
sie, und doch fest umrissen in ihrer Verzweiflung.
    »Sie sind
erledigt«, sagte ich zu Paul Edwards. Er sah mich mit weit aufgerissenen Augen
an. »Und das tut mir kein bisschen leid. Neben den vielen schrecklichen Dingen,
die Sie getan haben, haben Sie auch meinen Bruder ins Gefängnis gebracht - auch
wenn Sie dabei reichlich Unterstützung hatten. Sie haben auf dem Friedhof auf
mich geschossen, und dabei waren Sie vermutlich allein, stimmt's? Jetzt ist Ihr
Leben vorbei.«
    »Machen Sie
jetzt auch noch einen auf Hellseherin?«, sagte Sybil verbittert. »Ich wünschte,
ich hätte Sie nie engagiert, um rauszufinden, was dem Mädchen zugestoßen ist.«
    »Dann kann
ich ja froh sein, dass Sie mich schon bezahlt haben.« Eine bessere Antwort fiel
mir leider nicht ein. Sie lachte, aber nicht so, als wisse sie meinen Humor zu
schätzen. Ihre Tochter sah immer noch fassungslos von Sybil zu Paul, von ihrer
Mutter zu dem Mann, der der Liebhaber ihrer Mutter gewesen war. Sie sah sehr
elend, jung und verletzlich aus.
    »Aus dir
wird noch mal eine tolle Frau«, sagte ich zu Mary Neil. Sie vermied es, mich
anzusehen. Vermutlich hegte sie im Moment nicht mehr Sympathien für mich als
für ihre Mutter oder Paul. Als mein Bruder zurückkam, hörten wir die Sirenen
näher kommen. Blaulicht erhellte die vom Regen überschwemmte Landstraße.
    »Warum haben
Sie mir das alles angetan?«, fragte ich Paul. »Das verstehe ich nicht.«
    »Das Baby«,
sagte er. »Ich hätte nie gedacht, dass Sie Teenie finden. Aber als Sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher