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Harper Connelly 01 - Grabesstimmen-neu-ok-10.12.11

Harper Connelly 01 - Grabesstimmen-neu-ok-10.12.11

Titel: Harper Connelly 01 - Grabesstimmen-neu-ok-10.12.11
Autoren: Charlaine Harris
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viel Marmor und hohen Gewölbedecken, der nach heutigen
Standards schwer zu beheizen und zu kühlen ist, aber eindrucksvoll war er
trotzdem. Die Grünanlagen um das alte Gebäude herum waren sehr gepflegt, sogar
jetzt, wo die Bäume ihr Laub abwarfen. Noch parkten Touristen auf den
erstklassigen Parkplätzen am Rathausplatz. In dieser Jahreszeit waren das
überwiegend Weiße mittleren Alters sowie ältere Besucher, allesamt mit
gummibesohlten Schuhen und Windjacken. Sie liefen langsam und vorsichtig und
jede Bordsteinkante war ein potenzielles Hindernis. Genauso langsam fuhren sie
auch Auto.
    Wir mussten
den Platz zweimal umrunden, ehe ich die richtige Abzweigung zu unserem Motel
fand. Ich hatte das dumpfe Gefühl, dass alle Straßen in Sarne zu diesem Platz
führten. Die anliegenden Geschäfte gehörten zum Vorzeigeviertel der Stadt, das
zum Einkaufen und Flanieren bestimmt war. Sogar die Straßenlaternen waren
künstlerisch gestaltet - mit Schnörkeln und Blättern verziertes, mattgrün
gestrichenes Metall. Die Bürgersteige waren eben und rollstuhltauglich, und es
gab ausreichend Abfalleimer, die als niedliche kleine Häuschen getarnt waren. Alle
Schaufenster direkt am Platz waren aufeinander abgestimmt. Sie hatten allesamt
hölzerne Fassaden und altmodische Ladenschilder mit einer ebenso altmodischen
Beschriftung: Tante Hatties Eisdiele, Jebs gute Stube, Jn. Banks
Lebensmittel, Annies Bonbonladen. Vor jedem Geschäft stand eine schwere
Holzbank. Durch die hell beleuchteten Schaufenster erkannte ich ein, zwei
Ladeninhaber. Sie waren kostümiert und trugen Kleider wie zur Jahrhundertwende.
    Es war schon
nach fünf, als wir den Platz endlich verließen. Es war ein bewölkter Tag Ende
Oktober, und es war schon beinahe völlig dunkel.
    Wenn man das
Touristenviertel um das Gerichtsgebäude erst einmal hinter sich gelassen hatte,
entpuppte sich Sarne als äußerst hässlich. Läden wie Mountain Karl's
Kountry Krafts wichen solchen für banalere Bedürfnisse wie der First National Bank und Reynolds Haushaltsgeräte. Je
weiter ich in die Seitenstraßen hineinfuhr und den Platz hinter mir ließ, desto
mehr leer stehende Geschäfte fielen mir auf, von denen ein, zwei kaputte Schaufenster
aufwiesen. Es gab kaum Verkehr. Das war der private Teil von Sarne, wo die
Einheimischen lebten. Laut Aussage des Bürgermeisters war die Touristensaison
bald vorbei, jetzt, wo das Laub von den Bäumen fiel. Während des Winters würde
Sarne den roten Teppich wieder einrollen - und damit auch seine
Gastfreundschaft einfrieren.
    Ich ärgerte
mich über die Zeitverschwendung und die umsonst zurückgelegten Kilometer. Aber
ich hatte die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, und als ich fünf Querstraßen
vom Rathausplatz entfernt diesen unverkennbaren Sog spürte, war ich beinahe
glücklich. Er kam von links, aus fünf, sechs Metern Entfernung.
    »Ist es erst
neulich passiert?«, fragte Tolliver, als er sah, wie mein Kopf herumfuhr. Ich
muss stets hinsehen, auch wenn meine Augen selbstverständlich nichts erkennen
können.
    »Oh ja.« Wir
fuhren nicht etwa an einem Friedhof vorbei, und ich hatte auch nicht das
Gefühl, es mit einer frisch aufgebahrten Leiche zu tun zu haben, was auf ein
Bestattungsinstitut hingewiesen hätte. Der Eindruck war einfach zu heftig, der
Sog zu stark.
    Sie wollen
nämlich gefunden werden.
    Statt
geradeaus weiter bis zum Motel zu fahren, bog ich links ab und folgte dem
»Geruch«, der von mir Besitz ergriffen hatte. Ich hielt auf dem Parkplatz einer
kleinen Tankstelle. Mein Kopf fuhr erneut herum, als ich die Stimme vernahm,
die vom überwucherten Grundstück auf der anderen Straßenseite nach mir rief.
Ich sage »Geruch« oder »Stimme«, obwohl sich das, was diesen Sog verursacht,
wesentlich weniger genau bestimmen lässt.
    Etwa drei
Meter hinter dem Eingang zum Grundstück befand sich die Fassade eines Gebäudes.
Soweit ich das verwitterte, im Wind wehende Schild entziffern konnte, handelte
es sich um einen ehemaligen Waschsalon. Nach dem Zustand des Gebäudes zu
urteilen, war der Waschsalon Evercleen schon vor Jahren zur
Hälfte abgebrannt.
    »In der
Ruine da drüben«, sagte ich zu Tolliver.
    »Soll ich
nachsehen?«
    »Nö. Ich
rufe Branscom an, sobald wir auf unserem Motelzimmer sind.« Wir lächelten uns
kurz an. Es gibt nichts Besseres als ein konkretes Beispiel, um meine
Glaubwürdigkeit unter Beweis zu stellen. Tolliver nickte mir anerkennend zu.
    Ich ließ den
Motor wieder an. Diesmal erreichten wir unser
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