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Harper Connelly 01 - Grabesstimmen-neu-ok-10.12.11

Harper Connelly 01 - Grabesstimmen-neu-ok-10.12.11

Titel: Harper Connelly 01 - Grabesstimmen-neu-ok-10.12.11
Autoren: Charlaine Harris
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zu
stammen. Als ich noch etwa einen halben Meter vom Fundort entfernt war, wusste
ich, dass die Leiche einem Schwarzen gehörte, der erfroren war. Er war auf natürliche
Weise von Blättern, Ästen und Schlamm begraben worden, die während der letzten
zehn Jahre den Berg hinuntergespült worden waren. Nichts als schwarz gewordene
Rippen, zerfallene Kleider und ein paar Muskeln, die noch an den Knochen
klebten, war von ihm übrig.
    Ich nahm
einen der roten Stoffstreifen, die ich immer in der Jackentasche habe, während
Tolliver etwas Draht aus seiner Hosentasche holte. Ich band den Streifen an das
eine Drahtende, während Tolliver das andere in den Boden steckte. Wir waren von
dem umgestürzten Baum vielleicht 400 Meter nach Südwesten gelaufen, was ich
notierte.
    »Ein
Jagdunfall«, schlug Tolliver vor. Ich nickte. Ich kann die genauen
Todesumstände nicht immer erkennen, aber der Zeitpunkt, zu dem der Tod eintrat,
fühlte sich entsprechend an: Panik, Einsamkeit. Langes Leiden. Ich war mir
sicher, dass er aus seinem Jägerstand gestürzt war und sich das Rückgrat
gebrochen hatte. Er hatte dort gelegen, bis ihn die Elemente für sich
beanspruchten. Ein paar an einen Baum genagelte Holzleisten waren noch zu
erkennen. Hieß er Bright? Mark Bright? So ähnlich.
    Gut, aber
für ihn wurde ich nicht bezahlt. Der Mann war mein zweites Werbegeschenk an die
Stadt Sarne. Es wurde höchste Zeit, dass ich etwas Geld verdiente.
    Wir gingen
weiter. Ich arbeitete mich nach Osten vor, war mir dabei aber eher unsicher.
Nachdem wir etwa zwanzig Meter von den Gebeinen des Jägers entfernt waren,
erreichte mich ein willkommenes, lautes Dröhnen aus dem Norden. Wieder ging es
bergauf, was eigentlich merkwürdig war. Aber dann merkte ich, dass wir nach
oben gehen mussten, um wieder zur Straße zu kommen. Je näher ich der Straße
kam, desto näher kam ich den sterblichen Überresten von Teenie Hopkins - oder
einer anderen jungen Weißen. Das Dröhnen wurde stärker, und ich ließ mich mit
den Knien auf das Laub am Boden fallen. Sie war hier. Nicht mehr sehr viel von
ihr, aber genügend. Man hatte einige dicke Äste über sie geworfen, um sie zu
verbergen, aber jetzt waren sie vertrocknet und verrottet. Teenie Hopkins hatte
einen langen, heißen Sommer unter diesen Ästen verbracht. Trotz der Insekten,
Tiere und Monate mit Regenwetter hatte sie noch mehr Ähnlichkeit mit einer
Leiche als der Jäger.
    Tolliver
kniete sich neben mich und legte mir den Arm um die Schultern.
    »Schlimm?«,
fragte er. Obwohl meine Augen geschlossen waren, konnte ich spüren, wie er sich
bewegte, wie er den Kopf drehte und die gesamte Umgebung absuchte. Einmal waren
wir nämlich direkt am ›Entsorgungsort‹ vom Mörder überrascht worden, der mit
einer weiteren Leiche zurückkehrte. Ironie des Schicksals.
    Jetzt kam
der schwierige Teil meiner Arbeit. Der schlimmste. Eigentlich bedeutet das
Auffinden einer Leiche nur, dass ich erfolgreich gewesen bin. Die Art und
Weise, wie die Person zu einer Leiche wurde, macht mir normalerweise nicht so
viel aus. Das ist mein Job. Alle Menschen müssen auf die eine oder andere Art
sterben. Aber dieses verwesende Ding hier im Laub - sie war gerannt und
gerannt, während ihr Atem immer pfeifender ging. Sie war kein Mensch mehr
gewesen, sondern ein einziges Bündel Panik. Und dann war die Kugel in ihren
Rücken eingedrungen, und eine andere hatte...
    Ich fiel in
Ohnmacht.
    Tolliver
hatte meinen Kopf in seinen Schoß gebettet. Wir befanden uns inmitten des
bunten Laubs von Eiche, Amberbaum, Sassafras und Ahorn. Er lehnte mit dem
Rücken gegen einen Amberbaum, und ich ahnte, wie unbequem das sein musste,
wegen all der stacheligen Kapseln, auf denen er jetzt wahrscheinlich saß.
    »Komm schon,
Kleine, wach auf«, sagte er. An seiner Stimme hörte ich, dass es nicht das
erste Mal war.
    »Ich bin
wieder da.« Ich hasste mich für meine schwache Stimme.
    »Meine Güte,
Harper. Hast du mich erschreckt!«
    »Tut mir
leid.«
    Ich lehnte
mich noch eine weitere Minute gegen seine Brust, seufzte und rappelte mich dann
auf. Ich schwankte kurz, bis ich mein Gleichgewicht wiederfand.
    »Woran ist
sie gestorben?«
    »Sie wurde
zweimal in den Rücken geschossen.«
    Er wartete,
ob ich noch mehr sagen würde.
    »Sie ist
gerannt«, erklärte ich, damit er sich den Schrecken und die Verzweiflung in den
letzten Minuten ihres Lebens vorstellen konnte.
    Letzte
Minuten sind selten so schlimm, auch wenn ich in dieser Hinsicht sicher andere
Maßstäbe
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