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Happy Family

Happy Family

Titel: Happy Family
Autoren: David Safier
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deutschen Filiale des Penguin-Buch-Verlags gearbeitet. Lena war ehrgeizig und neigte zu Ellenbogeneinsatz. Dennoch hatte ich die Nase immer leicht vorn. Schließlich bekam ich sogar eine Stelle in London angeboten, bei der es sich um einen absoluten Traumjob handelte, von dem aus ich – so wie ich es mir schon als Mädchen erträumt hatte – die Welt hätte erobern können. Als Lena von dem Angebot hörte, wurde sie grün vor Neid.
    Allerdings hatte ich wenige Wochen zuvor Frank in einem Beach-Club an der Spree kennengelernt. Ich spielte mit Freunden Volleyball, er kam hinzu, erklärte, dass er als Jura-Student neu in der Stadt wäre, und fragte, ob er mitspielen könnte. Ich sah in seine tiefen blauen Augen, und mein Gehirn machte winke, winke. Es überließ meinen Hormonen die Schlüssel zu meinem Körper und verabschiedete sich in den Urlaub, um an irgendeinem Karibikstrand Caipirinhas zu trinken und sich beim Limbo-Tanz zu vergnügen.
    Parallel dazu verabschiedete sich auch Franks Gehirn. Und wenn zwei Gehirne sich so verabschieden, dann kommt es schon mal nach einiger Zeit zu Situationen, in denen man liebestoll übereinander herfällt und sich vor lauter Leidenschaft nicht sonderlich dafür interessiert, dass das Kondom verrutscht ist. Mit der Folge, dass man ein paar Wochen später über Morgenübelkeit staunt.
    Als wir den positiven Schwangerschaftstest in den Händen hielten, freuten wir uns unheimlich. Dabei war mir schon klar, dass ich mit Kind den Traumjob in London nicht annehmen konnte. Aber ich liebte Frank, wie ich noch nie jemanden zuvor geliebt hatte. Und das Kind wegzumachen … allein bei dem Gedanken wurde mir gleich noch morgenübler.
    Als ich dann beim Arzt das erste Mal auf dem Ultraschall das kleine schwimmende Etwas sah, das in mir heranwuchs, wurde mir ganz wohl ums Herz. Zutiefst beseelt, deutete ich auf das Ultraschallbild und flüsterte leise: «Es ist wunderschön.» Und es machte mir auch kaum etwas aus, als der Arzt anmerkte: «Das ist Ihre Blase.»
    Ich entschied mich gegen London, für das Kind und für Frank. Lena konnte mich nicht verstehen, sie hätte sich für eine Abtreibung entschieden, erklärte sie mir. Aber sie freute sich, konnte sie doch statt meiner die Stelle in London antreten, was sie mit dem Satz kommentierte: «Dein verrutschtes Kondom ist mein Glück.»
    Später hörte ich dann gelegentlich, dass Lena in London richtig Karriere gemacht hatte. Ich wollte aber nichts Genaueres über das Leben erfahren, das ich nicht gelebt hatte. Anfangs, weil ich mit meinem Familienleben so happy war, in den letzten Jahren hingegen eher, weil ich mich immer mal wieder bei Was-wäre-wenn-Gedanken ertappte, denen ich keinen Raum geben wollte. Doch jetzt stand dieses Leben direkt vor mir. In meiner kleinen Buchhandlung.
    «Lena …?», fragte ich ungläubig.
    «Wie ich leib und lebe», strahlte sie.
    Was wollte sie hier? Nach all den Jahren?
    «Du …», stammelte ich, «du siehst unglaublich aus, wie früher.»
    «Du aber auch, Emma Wünschmann!», erwiderte sie, und wir wussten beide, dass das gelogen war. Ich besaß bereits so viele graue Haare, dass ich schon öfters unsicher im Bad vor dem roten Haarfärbemittel meiner Tochter stand. Außerdem, und eigentlich noch viel schlimmer, besaß ich einen von den Schwangerschaften mitgenommenen dicken Bauch (Cheyenne hatte mir sogar mal ein T-Shirt geschenkt mit der Aufschrift
Ich habe meine Magersucht überwunden
).
    «Und du bist auch wieder schwanger!», freute sich Lena und deutete auf meinen Bauch.
    Ich wurde hochrot.
    Und Cheyenne musste vor sich hin prusten.
    Lena sah in mein peinlich berührtes Gesicht und verstand: «Oh, tut mir leid …»
    «Was … was führt dich hierher?», fragte ich, um von meinem Bauch abzulenken.
    «Ich bin beruflich in Berlin. Und als ich von den Leuten aus unserer alten Abteilung erfahren habe, dass du eine kleine Buchhandlung hast, dachte ich mir, ich komm mal vorbei», strahlte sie.
    «Und … wie läuft es so in London?», fragte ich und bereute die Frage schon, kaum hatte ich die Worte ausgesprochen.
    «Sehr gut. Ich leite jetzt die Abteilung Internationale Bestseller und betreue Dan Brown, John Grisham oder Cornelia Funke …», schilderte sie in einem möglichst bescheidenen Tonfall, der ihre Lust am Angeben nur unzulänglich kaschierte. Jetzt war es klar, warum sie hier war: Sie wollte mir unter die Nase reiben, was für ein tolles Leben sie führte. Kleingeistig. Wirklich kleingeistig.
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