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Happy Family

Happy Family

Titel: Happy Family
Autoren: David Safier
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lauschen. Länder, die ich wohl nie sehen würde, obwohl ich als junges Mädchen immer davon geträumt hatte, die ganze Welt zu bereisen.
    «Ich muss nach Hause, meinen Sohnemann in die Wohnung lassen …», erklärte ich seufzend und nahm meine abgewetzte Lederjacke von der Garderobe.
    «Geh nur, Emma, wir haben ja eh kaum Kunden», lächelte die alte Hippiebraut.
    «Oh, wir haben viele Kunden!», protestierte ich. Aber das stimmte nicht. Auch an diesem Vormittag waren es nur wenige gewesen: die Ärztin, die sich einmal die Woche stundenlang von mir beraten ließ und sich dann die Bücher immer auf Amazon bestellte. Eine Familie, deren Kinder sich einen Band vom
Magischen Baumhaus
kauften, dafür aber mit ihren Softeishänden zwölf teure Hardcoverbücher beim Durchblättern ruinierten. Und Cheyennes Lover Werner, der, nur um seine Liebste zu sehen, sich das Pixi-Buch
Conny schläft im Kindergarten
anschaffte.
    «Wir sollten Erotikromane verkaufen», schlug Cheyenne vor.
    «Wir sind ein Kinderbuchladen!»
    «Es gibt da aber ganz viele interessante Titel im Erotikbereich», ließ sie nicht locker, «zum Beispiel
Die Kosakensklavin
 …»
    Ich verzog das Gesicht.
    «Oder
Bettenwechsel in Dänemark
 …»
    Ich verzog noch mehr das Gesicht.
    «Oder
Drei Nüsse für Aschenbrödel
 …»
    «Das ist eine Kindergeschichte», widersprach ich.
    «Nicht in dieser Variante», grinste Cheyenne.
    «Ich will nicht solche Bücher verkaufen!», protestierte ich und fügte noch schnell hinzu: «Und auch nicht genauer darüber nachdenken, warum es drei Nüsse sind.»
    «Aber der Laden geht sonst den Bach runter!», insistierte Cheyenne. «Unser Lesesofa ist durchgesessen, die Spielecke für die Kinder fast so alt wie ich, und als ich neulich im Lager die Regale entstaubt habe, sah mich plötzlich eine Kakerlake an.»
    Cheyenne sprach lauter ungeliebte Wahrheiten über meine Buchhandlung aus. Wahrheiten, die ich nicht hören wollte, weil ich sie selbst zu verantworten hatte. Wenn ich mehr Energie und Zeit für den Laden hätte, würde es hier besser aussehen und auch um den Umsatz besser stehen. Aber wer hatte schon Zeit und Energie, wenn er so eine kraftraubende Familie besaß wie ich?
    Cheyenne sprach gleich noch eine weitere Wahrheit aus, eine sehr bittere: «Du hast nur eine Möglichkeit, den Gewinn zu steigern: Du musst mich entlassen.»
    «Das kommt nicht in die Tüte», erwiderte ich.
    «Du brauchst mich aber nicht», seufzte Cheyenne traurig und wirkte mit einem Male wirklich alt, «die paar Bücher kannst du auch selbst verkaufen.»
    Das stimmt, dachte ich.
    «Und ich verrechne mich andauernd», klagte sie leise.
    «Das stimmt», sprach ich nun laut aus.
    «Und ich hab letzte Woche das Klo verstopft.»
    «Du warst das?!?», rief ich empört aus, denn das verstopfte Klo hatte eine extrem hohe Klempnerrechnung nach sich gezogen. «Wie hast du denn das hingekriegt?»
    «Mir ist mein Hämorrhoidenpflaster reingefallen», gestand sie kleinlaut.
    Cheyenne hatte mit allem recht: Wenn ich sie entlassen würde, wäre es besser für mein Konto und wohl auch für meinen Laden. Aber ohne Lohn würde sie in ihrem VW -Bus übernachten müssen, bezog sie doch kaum Rente, weil sie, anstatt zu arbeiten, ihr Leben lang durch die Welt gezogen war. Dabei hatte sie – wie ich immer wehmütig dachte – mehr erlebt und gelebt, als ich es in meinem kleinen, langweiligen Leben je tun würde.
    «Ich werde dich nie entlassen», erklärte ich bestimmt.
    Cheyenne lächelte mich zutiefst dankbar an und sagte: «Du bist eine Gute.»
    Ich musste zurücklächeln. Aber mir war klar, dass ich mir irgendetwas einfallen lassen musste, wenn ich wollte, dass mein Laden überlebte. Denn ohne ihn würde ich nur noch Hausfrau und Mutter sein. Und das war mir viel zu wenig. Vor allem in dem Zustand, in dem sich diese Familie gerade befand.
    Ich schickte einen Wunsch ins Universum, dass es eine Rettung für meinen Laden geben möge, nur um gleich darauf festzustellen: Das Universum besaß einen recht merkwürdigen Sinn für Humor.

    Ich wollte gerade aus der Tür gehen, da betrat sie meinen Laden: Lena. Ausgerechnet Lena! Ich hatte sie seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen, und sie sah fast noch genauso aus wie damals: schlank und umwerfend. Nur hatte sie jetzt auch noch schicke, teure Klamotten an, die ich außerhalb von Lifestylemagazinen noch nie gesehen hatte.
    Lena und ich hatten in grauer Vorzeit gemeinsam als junge motivierte Lektorinnen in der
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