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Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising

Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising

Titel: Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising
Autoren: Thomas Harris
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eingezogen und zu Tode geschunden.
    Einige desertierten jedoch und schlugen sich auf eigene Faust durch.

    Ein prächtiges litauisches Gutshaus an der polnischen Grenze, auf einer Seite offen wie ein Puppenhaus, weil eine Granate die gesamte Außenwand weggerissen hatte. Die Bewohner, beim ersten Einschlag aus dem Keller gescheucht, beim zweiten getötet, lagen in der Küche im Erdgeschoss. Im Garten waren tote Soldaten verstreut, Deutsche und Russen. Neben dem Haus lag ein umgestürzter deutscher Stabswagen, von einer Granate zerfetzt.

    Auf einem Diwan vor dem Kamin im Salon saß ein SS-Sturmbannführer mit gefrorenem Blut an den Hosenbeinen. Sein Unterscharführer zog eine Decke von einem Bett und breitete sie über ihn, dann machte er Feuer, aber weil das Haus auf einer Seite vollkommen offen war, wurde es dadurch auch nicht wärmer. Er zog dem Sturmbannführer einen Stiefel aus. Die Zehen waren schwarz. In diesem Moment hörte der Unterscharführer im Freien ein Geräusch. Er nahm seinen Karabiner von der Schulter und schlich ans Fenster.
    Ein Halbkettenfahrzeug, ein russischer ZiS-44 mit einem roten Kreuz an den Seiten, rumpelte die gekieste Zufahrt herauf.
    Vladis Grutas stieg aus und hielt ein weißes Tuch hoch. »Wir sind vom Roten Kreuz. Haben Sie Verwundete? Wie viele sind Sie?«
    Der Unterscharführer blickte sich nach dem Verletzten um und sagte leise: »Sanitäter, Herr Sturmbannführer. Wollen Sie mit ihnen mitfahren?« Sein Vorgesetzter nickte, und er gab Grutas ein entsprechendes Zeichen.
    Grutas und der einen Kopf größere Enrikas Dortlich holten eine Tragbahre aus dem Halbkettenfahrzeug.
    Der Unterscharführer ging nach draußen, um mit ihnen zu sprechen. »Seien Sie vorsichtig mit ihm. Es hat ihn an den Beinen erwischt. Seine Zehen sind erfroren. Möglicherweise Erfrierungsgangrän. Haben Sie ein Feldlazarett?«
    »Ja, natürlich, aber ich kann auch gleich hier operieren«, sagte Grutas und schoss ihm aus nächster Nähe zweimal in die Brust, sodass kleine Staubwölkchen von seiner Uniform aufstiegen. Ohne einen Laut von sich zu geben, sank der Unterscharführer zu Boden und blieb reglos liegen. Grutas stieg über ihn hinweg, ging ins Haus und schoss dem Sturmbannführer durch die Bettdecke in die Brust.
    Darauf kamen Zigmas Milko, Petras Kolnas und Bronys Grentz hinten aus dem Halbkettenfahrzeug geklettert. Sie trugen ein seltsames Sammelsurium unterschiedlichster Uniformteile: von der litauischen Polizei und Sanitätern, von estnischen Sanitätstruppen und vom Internationalen Roten Kreuz. Aber alle hatten eine weiße Armbinde mit einem deutlich sichtbaren roten Kreuz.
    Laut ächzend und schimpfend machten sich die Plünderer daran, den herumliegenden Toten mit brachialer Gewalt die starren Glieder zu verdrehen, um ihnen Schmuck und sonstige Wertgegenstände abzunehmen. Ausweise, persönliche Papiere und Brieftaschenfotos streuten sie achtlos auf den Boden. Der Sturmbannführer, der noch lebte, streckte die Hand aus. Milko nahm dem Schwerverwundeten die Armbanduhr ab und steckte sie ein.
    Grutas und Dortlich schleppten einen zusammengerollten Wandteppich aus dem Haus und hievten ihn in das Halbkettenfahrzeug. Dann nahmen sie die Tragbahre und trugen sie in den Salon. Sie stellten sie auf den Boden und warfen Uhren, Goldbrillen und Ringe darauf.
    In diesem Moment kam ein Panzer unter den Bäumen hervor. Es war ein russischer T-34 in Wintertarnung. Sein Geschütz schwenkte langsam von einer Seite auf die andere. In der offenen Luke stand ein MG-Schütze.
    Ein Mann, der sich in einem Schuppen hinter dem Gutshaus versteckt hatte, stürmte plötzlich nach draußen und rannte, über die herumliegenden Toten hinwegsetzend, mit einer vergoldeten Standuhr in den Armen auf die Bäume zu.
    Das Maschinengewehr des Panzers ratterte los, und der fliehende Plünderer fiel vornüber und landete neben der Uhr auf dem Boden, sein Gesicht ebenso zerstört wie das Diebesgut. Sein Herz und die Uhr schlugen noch ein letztes Mal und blieben dann stehen.
    »Schnell, schnappt euch eine Leiche!«, rief Grutas den anderen zu.
    Sie legten einen Toten über die Wertsachen auf der Bahre und trugen sie nach draußen. Der Turm des Panzers drehte sich zu ihnen herum. Grutas hielt eine weiße Fahne hoch und deutete auf das Rote Kreuz an ihrem Fahrzeug.
    Der Panzer fuhr weiter.
    Sie sahen sich ein letztes Mal im Gutshaus um. Der Sturmbannführer lebte noch. Er klammerte sich an Grutas’ Hosenbein, als dieser an ihm vorbeiging,
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