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Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising

Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising

Titel: Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising
Autoren: Thomas Harris
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Salz einzulegen. Auch Forellen und Rebhühner pökelten sie.
    Manchmal kamen nachts Männer in Zivilkleidung vorbei, um wenig später, lautlos wie Schatten, wieder im Wald zu verschwinden. Graf Lecter und der Stallknecht Berndt sprachen auf Litauisch mit ihnen. Einmal brachten sie einen Mann mit einem blutgetränkten Hemd, der auf einer Pritsche in der Ecke starb, während ihm das Kindermädchen Nana mit einem feuchten Tuch das Gesicht abtupfte.
    An den Tagen im Winter, an denen der Schnee zu tief war, um im Wald auf Nahrungssuche zu gehen, erteilte der Hauslehrer Herr Jakov den Kindern Unterricht. Angepasst an ihre jeweiligen Fähigkeiten, brachte er Hannibal und Mischa Englisch und die Grundbegriffe des Französischen bei und unterrichtete sie und manchmal auch die Erwachsenen in römischer Geschichte, wobei er sich hier ganz besonders mit den Belagerungen Jerusalems befasste. Er fand in ihnen allen aufmerksame Zuhörer, denn er schilderte die historischen Ereignisse und biblischen Geschichten sehr spannend und anschaulich, und manchmal schmückte er sie in einem Maß aus, das nicht mehr unbedingt etwas mit Wissenschaft zu tun hatte.

    In Mathematik unterrichtete er Hannibal allein, weil hier kaum jemand mit dem Jungen mithalten konnte.
    Unter Herrn Jakovs Büchern im Jagdhaus befand sich eine ledergebundene Ausgabe von Christiaan Huyghens’ Abhand lung über das Licht , die es Hannibal besonders angetan hatte. Wenn er Huyghens’ Gedankengängen Schritt für Schritt folgte, hatte er das Gefühl, sich auf geistiges Neuland zu begeben. Er brachte die Abhandlung über das Licht mit dem Funkeln des Schnees und mit den regenbogenfarbenen Schlieren in den alten Fensterscheiben des Jagdhauses in Verbindung. Die reizvolle Geradlinigkeit von Huyghens’ Gedanken erschien ihm wie die klaren und einfachen Linien des Winters, wie die Struktur unter den Blättern. Wie ein geheimnisvolles Kästchen, das sich mit einem leisen Klicken öffnete und den Blick freigab auf das Prinzip in seinem Innern, das sich auf alles anwenden ließ. Dieser verlässlich sich einstellende Kitzel war ihm vertraut, seit er lesen konnte.
    Hannibal Lecter war ständig in irgendwelche Bücher vertieft, so erschien es zumindest Nana, dem Kindermädchen. Als er zwei Jahre alt war, hatte sie ihm noch vorgelesen, meistens aus einer Ausgabe der Grimm’schen Märchen, die mit Holzschnitten illustriert war, auf denen alle Figuren lange, spitze Zehennägel hatten. Hannibal hatte ihr dann, den Kopf an ihre Brust geschmiegt, fasziniert zugehört und dabei unablässig auf die Wörter auf den Seiten geschaut, bis sie ihn eines Tages dabei ertappte, wie er selbstständig in dem Buch las. Er drückte die Stirn auf die Seite, hob dann den Kopf auf Sichtweite und begann, in Nanas Akzent laut zu lesen.
    Hannibals Vater hatte eine hervorstechende Eigenschaft – Neugier. Und diese Neugier veranlasste Graf Lecter damals dazu, dem Majordomus Lothar aufzutragen, Hannibal die schweren Wörterbücher aus der Schlossbibliothek zu holen- das englische, das französische, das deutsche und die 23 Bände des litauischen Wörterbuchs –, und dann wurde der Junge mit den Büchern sich selbst überlassen.

    Als Hannibal sechs war, hatte er drei einschneidende Erlebnisse, die sich prägend auf sein ganzes späteres Leben auswirken sollten.
    Zuerst stieß er in der Schlossbibliothek auf eine alte Ausgabe von Euklids Elementen. Er fuhr die von Hand gezeichneten Abbildungen mit dem Finger nach und drückte die Stirn auf sie.
    Als Nächstes bekam er im Herbst seine kleine Schwester Mischa. Er fand, sie sah aus wie ein verschrumpeltes rotes Eichhörnchen. Insgeheim bedauerte er, dass sie nicht das Aussehen seiner Mutter hatte.
    Als sich die Aufmerksamkeit der anderen plötzlich nur noch um seine kleine Schwester drehte, begann er sich zunehmend häufiger vorzustellen, wie schön es wäre, wenn der Adler, den er manchmal über der Burg kreisen sah, Mischa behutsam in die Lüfte höbe und in ein fernes Land mit glücklichen Gnomen trüge, die alle wie Eichhörnchen aussahen und bestens zu ihr passten. Zugleich stellte er jedoch auch fest, dass er Mischa über alles liebte, und er nahm sich fest vor, ihr, sobald sie alt genug wäre, sich eigene Gedanken zu machen, alle möglichen interessanten Dinge zu zeigen und sie mit dem Reiz des Forschens und Entdeckens vertraut zu machen.
    Im selben Jahr bemerkte Graf Lecter, dass sein Sohn unter, wie Hannibal es ausdrückte, »Euklids persönlicher
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