Hannahs Entscheidung
Sein wasserblauer Blick funkelte sie zornig an.
»Lass mich, lass mich los!« Sie erschrak vor seinem Anblick. Shane schien nur noch ein Schatten seiner selbst zu sein. Rotblonde Bartstoppeln durchbrachen die aschfahle Blässe seiner Haut. Seine Wangen waren eingefallen. Er wirkte, als hätte er nächtelang nicht geschlafen, und seine schönen schulterlangen Haare hingen strähnig herab. Eine Mischung aus Angst, Mitleid und Abscheu zugleich ergriff Besitz von ihr, als sie versuchte, sich aus seinem eisernen Griff zu befreien. »Du tust mir weh.«
»Netter Versuch, Sweetheart.« Mit der anderen Hand nahm er ihr Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger in die Klemme. »Ich bin hier, um dich nach Hause zu holen. Hab lange genug auf einen günstigen Augenblick gewartet.« Hart und erbarmungslos presste er seine rauen Lippen auf ihren Mund.
Wütend trommelte sie gegen seine Brust.
Um seine Mundwinkel spielte ein triumphierendes Lächeln, als er sich von ihr löste.
»Mach das nie wieder«, keuchte Hannah, verzweifelt bemüht, Schweißgestank und Fahne zu ignorieren. »Ich will das nicht!«
»Zier dich nicht so.« Provozierend fasste er sich an den Schritt. »Früher mochtest du das doch auch.«
»Lassen Sie die Finger von ihr!«
Shane und Hannah wandten sich gleichzeitig um. Hannah fiel ein Stein vom Herzen, als sie sah, dass es Sam war, der sich ihnen näherte.
»Loslassen«, befahl er mit schneidender Stimme.
»Scheiße. Ich dachte, der Kerl wäre fort.« Shane gab Hannah frei und sprintete los, um das Messer zu sichern, das noch immer am Boden lag. Sam war schneller. Der Griff verschwand unter seiner Stiefelspitze.
»Vergessen Sie’s, Mulligan. Und jetzt runter von meinem Grund und Boden.«
Langsam richtete sich Shane auf. Er fixierte Sam aus schmalen Schlitzen. »Arschloch. Du hast mir nichts zu sagen.«
»Ich denke doch. Verlassen Sie Green Acres. Oder …«
»Oder was? Willst du mich verprügeln, Cowboy?« Shane bedachte Sam mit abfälligem Blick. »Hannah ist meine Frau. Meine, kapierst du? Misch dich nicht in Dinge ein, die dich nichts angehen.« Er drehte sich zu Hannah um. »Was willst du mit dem Typ? Seit wann stehst du auf Rednecks?« Er spuckte aus. »Komm jetzt. Zeit, zu gehen.«
»Nimm Vernunft an, Shane«, erwiderte Hannah. »Ich komme nicht mit dir. Niemals wieder.«
Bange Sekunden verstrichen, bevor etwas passierte, womit weder sie noch Sam gerechnet hätten.
Wie eine leblose Puppe sank Shane auf die Knie und vergrub sein Gesicht in den Händen. »Verdammt, Hannah. Ich kann ohne dich nicht leben«, schluchzte er.
»Shane, steh auf .« Hannah wechselte einen sekundenschnellen Blick mit Sam. Es war seltsam, den Mann, der sie vor wenigen Augenblicken noch bedroht hatte, wie ein hilfloses Kind am Boden kauern zu sehen.
Auf seinen hohlen Wangen glitzerten Tränen, als er den Kopf hob. »Du darfst mich nicht verlassen, Hannah. Ohne dich bin ich nichts.«
Hannahs Kehle schnürte sich eng. Ganz tief in ihr drin, in einem fernen Winkel, spürte sie einen Hauch von der Liebe, die sie einmal miteinander verbunden hatte. »Shane«, bat sie sanft. »Lass dich nicht so gehen. Bitte.«
Urplötzlich verzerrte sich sein Gesicht zu einer hässlichen Maske. »Bitte was?«, giftete er. »Verdammtes Weib! Du zerstörst mein Leben!« Seine Laune wechselte so rasch wie das Wetter im Land seiner Vorfahren.
Ihr Herz klopfte wild, aber äußerlich blieb sie ruhig. »Das hast du ganz allein geschafft«, entgegnete sie kühl. Sie schmiegte sich an Sam, der einen beschützenden Arm um ihre Schultern legte.
»Fahr ruhig los«, sagte er leise. »Ich regle das hier.«
»Bist du sicher? Vielleicht …«
»Ich bin sicher.« Ohne Shane aus den Augen zu lassen, drückte Sam ihr einen Kuss auf die Stirn.
»Widerlich«, zischte Shane. »Ihr zwei kotzt mich an. Er steckte sich andeutungsweise zwei Finger in den Hals. »Glaub nicht, dass du mir so einfach davonkommst, Hannah.« Sein Blick war hasserfüllt, als er sich an Sam wandte. »Du hast gewonnen, Cowboy. Schon wieder. Aber ich komme zurück, verlass dich drauf. Ich gebe nicht auf. Niemals.« Er blies Hannah ein Luftküsschen zu und hob Sam den Mittelfinger entgegen, bevor er sich schwankend auf- und davonmachte.
»Ich informiere die Cops«, beschloss Sam. »Ich will nicht, dass dieser Kerl dich noch einmal belästigt.« Er bückte sich, um das Messer zu sichern.
Hannah nickte, während sie Shanes Gestalt nachblickten, die im Dickicht des Waldes verschwand. »Du
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