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Halbmast

Halbmast

Titel: Halbmast
Autoren: Sandra Lüpkes
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Sicherheit tödlich gewesen. Ob es dem armen Mann vielleicht tatsächlich lieber gewesen wäre? Adamek hatte auf der Krankenliege immer und immer wieder erzählt, wie es zum tragischen Zwischenfall im Atrium gekommen war. Grees hätte ihn festgehalten, er hätte sich gewehrt, und dann wären beide zu nah an das Geländer gekommen. Adamek hatte immer wieder betont, dass es nicht seine Absicht gewesen wäre, den Mechaniker über die Balustrade zu stoßen. Carolin wollte ihm glauben. Vielleicht würde sie ihn in ein paar Wochen einmal im Krankenhaus besuchen. Denn sie wusste, auch wenn sie nun mit der
Poseidonna
im Hafen angekommen waren, dass die Geschichte dieser Überführung für sie noch nicht zu Ende war.
    Mit einem kaum merklichen Ruck legte die
Poseidonna
an, kurz darauf verstummte das Brummen des Motors. Die Fahrt war zu Ende.
    Es war Zeit, von Bord zu gehen.
    «Was wird jetzt wohl passieren?», fragte Carolin mehr sich selbst als die anderen.
    «Kommst du mit nach oben an Deck?», fragte Pieter.
     
    Eemshaven ist nicht Venedig, nicht Amsterdam und auch nicht Hamburg. Eemshaven hat eine hässliche Silhouette, ein Chemiewerk und viel zu viele Windkraftanlagen.
    Aber an diesem Abend sah Eemshaven schön aus.
    Obwohl das Wetter sein Bestes gab, ihnen die Ankunft zu versauen: Regen und Sturm und tiefe, dicke Wolken. Und die Nordsee sah aus, als hätte sie mal eine Wäsche nötig.
    Trotzdem, die kurze Zeit, die Carolin nun an Deck verbracht hatte, war beeindruckend gewesen. Die Lichter des Industriehafens glänzten vor dem grauen Abend, und begeisterte Holländer hatten ein kleines Willkommensfeuerwerk gezündet. Knallrote Leuchtkugeln färbten den Himmel über dem Schiff.
    Sie stand neben Pieter an der Reling. Beide hatten die Arme vor dem Körper verschränkt, beide schauten nach oben. Der Regen hatte noch immer nicht aufgehört, und die Nässe kroch ihr bereits in den Hemdkragen.
    Er zog seinen Tabak hervor und begann, eine Zigarette zu drehen. Sie kannte ihn erst so kurze Zeit, und doch wusste sie, dass er dies immer tat, wenn er ein wenig verlegen war.
    «Carolin, du hast vorhin im Krankenzimmer gefragt, was nun wohl passieren wird.»
    «Hab ich das?» Mehr brachte sie nicht heraus. Sie wusste, dass er gleich verschwinden würde und es keine Gelegenheit mehr gab, einige Dinge auszusprechen, die zwischen ihnen standen. Und dieser Gedanke schnürte ihr die Kehle zu.
    «Ich werde mich gleich vom Acker machen», sagte er, ohne sie anzublicken.
    «Aber sie werden dich suchen, meinst du nicht?»
    «Na, ich denke, zuerst müssen Schmidt-Katter und seine Leute ihre eigene Suppe auslöffeln. Die Sache mit dem Mädchen aus Polen ist weitaus krimineller als mein Vergehen.»
    «Aber sie werden die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Immerhin hast du die Passagiere und das Schiff mit deinen Aktionen in Gefahr gebracht. Schmidt-Katter wird nicht lockerlassen, bis er dich hat.» Sie betrachtete ihn von der Seite. Er sah keineswegs beunruhigt aus.
    «Vielleicht habe ich ja Sinclair Bess auf meiner Seite. Er war empört über die Dinge, die er von mir und Adamek über die Werft erfahren hat. Ich denke, er wird mir vielleicht ein wenig Deckung geben, wenn es so weit ist.»
    «Na, dann   …»
    Er zündete die Zigarette an. «Wirst du etwas schreiben?»
    «Vielleicht. Wenn Leif mir dabei hilft.»
    «Und wenn ich dir zur Hand gehe?» Er lächelte sie an. In seinen Augen spiegelten sich die roten Lichter der aufsteigenden Signallampen.
    «Wie denn? Du gehst doch jetzt, oder?»
    «Ja, aber ich werde nicht untertauchen. Das ist es nicht, was ich hier erreichen wollte. Ich möchte, dass du einen Bericht über diese Überführung schreibst und die Öffentlichkeit endlich die Wahrheit erfährt. Das ist mir wichtiger als alles andere. Nur die nächsten Tage werde ich von der Bildfläche verschwinden. Und dann   …»
    «Ja?»
    «Wenn du willst, treffen wir uns. In Hamburg vielleicht. Wir könnten den Bericht gemeinsam machen.»
    «Aber dann werden sie dich sicher bald kriegen.»
    «Dann müssen wir beide uns eben ranhalten.» Er legte den Arm um ihre Schultern und zog sie an sich.
    Der Druck in der Kehle war verschwunden. Endlich atmete sie durch. Am liebsten hätte sie noch einige Stunden so mit ihm im Regen gestanden. Doch dann hörten sie Stimmen von unten her, und zwei Gestalten trugen ein langes Brett in ihre Richtung.
    «Das sind meine Leute. Ich werde jetzt gehen.» Er zog den Arm wieder zurück.
    «Dann sagen wir: in einer
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