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Halbmast

Halbmast

Titel: Halbmast
Autoren: Sandra Lüpkes
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Augenbrauen, der immer nur an seine Arbeit dachte, der nicht auffallenwollte. Mit Sicherheit hatte er um halb neun auf den Journalisten gewartet. Das Angebot, als Informant vor Repressalien geschützt zu werden, musste ihm als rettende Lösung erschienen sein. Und dann war dieser Leif Minnesang nicht erschienen. Stattdessen war ihm wahrscheinlich Wolfgang Grees über den Weg gelaufen. Vielleicht hatte er in diesem Moment sogar daran geglaubt, dass der Reporter ihn verraten hatte. Und dann? «Ja, ich denke, er ist gefährlich.»
    «Aber was hat das alles zu bedeuten? Wer hat die Luke geöffnet? Wer hat Doktor Perl befreit? Und warum hat Leif Minnesang sein Diktiergerät ausgerechnet hier versteckt?»
    «Es kann nicht Leif Minnesang gewesen sein», entgegnete Marten.
    «Wie kommen Sie darauf?»
    «Die letzte Aufnahme. Dieses komische ‹Test, Test›, Sie wissen, was ich meine   …»
    «Die Fotografin hatte das Gerät zuletzt.»
    «Und sie hat es dort in Sicherheit gebracht, als sie nach unten geklettert ist, um Perl zu retten.» Marten hatte so etwas wie einen Beweis erbracht. Vielleicht würden Roger Bernstein und seine Leute ihr Versprechen wahr machen und ihn einfach gehen lassen. Es fühlte sich trotzdem nicht erleichtert. Die Tatsache, dass Robert Adamek an Bord war, ließ ihn nicht aufatmen. Alles war schlüssig, alles erklärbar. Doch neue Fragen ergaben sich aus alledem: Wenn Carolin Spinnaker den Arzt befreit hatte, warum war sie dann nicht mehr aufgetaucht? Warum hatte sie das ihr scheinbar so wichtige Diktiergerät nicht wieder eingesteckt?
    Es gab auch darauf eine Antwort: Robert Adamek.

Carolin
    Doktor Perl zitterte. Es war kein Wunder. Seine Kleidung war noch immer feucht von seinem stundenlangen Aufenthalt im Tank. Und hier oben, in vierzig Meter Höhe, bekam man den Sturm in seiner vollen Wucht zu spüren. Dazu kam noch der Regen.
    Sie hatten den gelben Schornstein im Rücken, und wenn man in die Tiefe schaute, breitete sich tief unter ihnen der türkise Deckpool aus. Dort hatte der Schweißer auf sie warten wollen, um ihr zu sagen, was mit Leif Minnesang geschehen war. Doch sie sah niemanden am Pool stehen. Er war wahrscheinlich wieder gegangen. Wenn er überhaupt dort gewartet hatte.
    Auch Carolin fror. Doch sie zitterte nicht mehr. Seit der Fremde sie auf dem Gerüst nach oben gezogen hatte, hatte sie mit dem Zittern aufgehört. Sie war wie erstarrt.
    Selbst wenn jemand nach ihnen suchen würde, selbst wenn jemand das ganze Schiff wegen ihr oder Doktor Perl durchkämmen würde, hier draußen würde niemand nachsehen. Und die Passanten? Es standen trotz des miserablen Wetters Hunderte am Deich und winkten. In zweihundert Meter Entfernung waren die Pfeiler des Dollartsperrwerkes zu erkennen. Die
Poseidonna
wartete bereits seit einer halben Stunde, dass sie die Ems verlassen durfte. Bald würde sie durch das Sperrwerk fahren und in den Dollart gelangen, das Mündungsdelta des Flusses. Dort standen sicherlich noch weit mehr Schaulustige. Sicher würden sie zu ihnen hinaufschauen. Sicher würden sich einige wundern, warum drei Gestalten bei dem Wetter am höchsten Punkt des Schiffes, am gelben Schornstein hingen. Doch alles Schreien und um Hilfe rufen würde gar nichts nutzen. Eswar zu stürmisch. Es war zu weit weg. Die Menschen dort unten würden denken, dass Carolin nur eine Passagierin mit extravaganten Reisewünschen war, die von dort oben lautstark auf sich aufmerksam machen wollte.
    Zum Glück litt sie nicht an Höhenangst und hatte einen ausgeprägten Gleichgewichtssinn. Sonst würde sie hier oben die Nerven verlieren.
    Bei jeder stärkeren Windböe schaukelten sie hin und her.
    «Ich verstehe Sie nicht. Warum retten Sie uns erst aus dem Tank und bringen uns dann an diesen Ort?», rief sie dem Fensterputzer zu. Er saß nur einen guten Meter von ihr entfernt auf dem schmalen Brett, Perl kauerte zwischen ihnen. Der Sturm war so laut, dass man schreien musste.
    Der Mann antwortete nicht. In seiner Hand hielt er den Schalter, mit dem sich die Seile am Flaschenzug auf und ab bewegen ließen. Er schaute in die Weite. Sein Gesicht war vom Regen nass. Er sah nicht böse aus, sondern traurig.
    «Was haben wir Ihnen denn getan? Ich habe Sie doch noch nie gesehen. Warum tun Sie uns das an?» Carolin konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme einen flehenden Unterton annahm.
    «Er hat seine Tochter verloren», stotterte Doktor Perl.
    «Aber was haben wir damit zu tun?» Carolin schaute eindringlich zum
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