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Haie an Bord

Haie an Bord

Titel: Haie an Bord
Autoren: Heinz G. Konsalik
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aus. Dann hob sie den Rock hoch und betrachtete die Wunde, einen breiten Riß in Oberschenkelmitte.
    »Warum regen Sie sich so auf, Doktor?« fragte sie. »Dieser blöde Windstoß. – Es ist ja nur eine Fleischwunde. Aber ich habe mich festgehalten, verstehen Sie das, ich habe mich mit aller Kraft festgeklammert, um nicht über Bord zu rollen.« Sie hob den Kopf. Graugrüne, fast phosphoreszierende Augen blickten Dr. Wolff an. Eine Strähne der rotblonden Haare durchschnitt ihre Stirn wie eine blutige Narbe. »Dabei bin ich auf dieses Schiff gekommen, um zu sterben …«
    Dr. Wolff antwortete nicht darauf. Er hatte Zellstoff, Binden, Pflaster, Merfen orange zur Desinfektion und Siccamerfen-Salbe geholt, zog jetzt zwei Spritzen auf und drückte die Luft aus den Glaskörpern. Die Frau beobachtete ihn dabei mit schräg geneigtem Kopf, als sehe sie einem Maler zu.
    »Was tun Sie da?« fragte sie, als Dr. Wolff mit einem Glastablett und den Spritzen zu ihr kam.
    »Tetanus und Penicillin. Und legen Sie sich bitte zurück, es wird vielleicht etwas weh tun, aber Sie bekommen auch noch etwas gegen die Schmerzen. Die Blutung wird gleich stehen.« Er beugte sich über das Bein, obgleich die Frau sich nicht zurücklegte, tupfte das Blut weg, strich die Wunde mit Merfen ein und griff dann zur ersten Spritze.
    »Tetanus habe ich schon. Mein Impfpaß liegt mit der Handtasche in meiner Kabine. Nr. 187.«
    »Wann geimpft?«
    »Vor Antritt der Reise. Außerdem gegen Pocken, Cholera, Gelbfieber, Typhus und noch so allerlei …«
    »Sehr schön. Und das braucht man alles, um zu sterben?« Dr. Wolff legte die Tetanusspritze weg und griff zum Penicillin. Er rieb den Oberschenkel der Frau mit einem Alkoholtupfer ab und injizierte schnell und schmerzlos.
    »Sie spritzen sehr gut«, sagte die Frau. »Ich kann das beurteilen. Ich war Morphinistin …«
    »Hinlegen!«
    Die Frau zögerte, aber dann streckte sie sich aus, kreuzte die Arme unter dem Nacken und starrte an die weißgetünchte Zimmerdecke. Dr. Wolff verband das Bein und richtete sich dann auf.
    »So, das wäre zunächst alles. Ich rufe jetzt den Lazarettsteward, der wird Sie in Ihre Kabine bringen. Und wir haben sogar eine ausgebildete Krankenschwester an Bord, die wird sich heute nacht um Sie kümmern.«
    »Warum, Doktor?« Die Frau blieb liegen. Die linke Schulter brannte höllisch, aber der Arm ließ sich wenigstens wieder bewegen. »Ich war auf diesen Windstoß nicht vorbereitet. Eine solche Dummheit wird nicht wieder vorkommen. Ich wollte eigentlich anders sterben, als von Deck geweht zu werden.«
    »Da gibt es wirklich zahlreiche Variationen.« Dr. Wolff räumte die blutigen Zellstofftücher, die Spritzen und Tupfer zur Seite. »Kommen Sie, versuchen Sie zu gehen.« Er faßte sie an den Schultern, und als sie leise aufschrie, ließ er sie betroffen los und sprang auf. »Warum sagen Sie nicht, daß Sie noch mehr Verletzungen haben?« rief er. »Verdammt, rühren Sie sich nicht. Ich rufe die Schwester, und dann ziehen wir Sie zuerst aus.«
    »Muß das sein?«
    »Ja.«
    »Dazu brauche ich keine Krankenschwester.« Sie zog den Pullover über den Kopf, ehe Dr. Wolff es verhindern konnte, und knöpfte den Rock auf. Sie trug darunter nur einen knappen Büstenhalter aus Spitzen und einen kleinen Slip. Es war ein herrlicher Körper, ein Ebenmaß an Schönheit, ein Zusammenklang von Proportionen, wie Wolff es selten gesehen hatte. Er konnte die Zahl der Frauenkörper nicht nennen, die er als Arzt und als Mann vor sich in ihrer reinsten Form gesehen hatte … aber dies hier war die Vollendung schlechthin. Nur das blutverschmierte Bein, der neue Verband und eine leichte Schwellung der linken Schulter – eine massive Prellung, dachte er sofort – zerstörten die völlige Harmonie.
    »Bitte –« sagte die Frau. Ihre Phosphoraugen lagen jetzt unter einem Schleier der rotblonden Haare. »Prellung des linken Schultergelenkes. Stimmt's? Es wird ein Hämatom geben, Schulter und Arm müssen ruhiggestellt werden, elastische Binde um Schulter, Arm in Schlinge, vielleicht täglich mehrmals Einreibungen mit Doloresum, Mediment oder einem anderen stinkenden Zeug. Wenn es ganz toll wird, eine Impletolinjektion, Alkoholwickel … was fehlt noch?«
    »Sie kennen sich gut aus.«
    »Ich war mit einem Arzt verheiratet.«
    Das ›war‹ machte Dr. Wolff merkwürdig zufrieden, ja fast fröhlich. Er spürte es nur unbewußt, als eine plötzliche Erleichterung. Aber er fragte nicht, was dieses ›war‹
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