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Haie an Bord

Haie an Bord

Titel: Haie an Bord
Autoren: Heinz G. Konsalik
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der Mitte schütter, wurde vom heißen Wind zerzaust. Er war ein kleiner, drahtiger, von Sonne und Salzwasser geradezu gegerbter Mann, trotz seiner schmucken Uniform wie eine erschreckend zum Leben erwachte Mumie wirkend. Ein Mann, den 33 Jahre Seefahrt ausgetrocknet hatten, so absurd es klingt. Nur die strahlenden blauen Augen in diesem Pergamentgesicht waren jung geblieben, kraftvoll, ein Überbleibsel aus der Zeit, als der Schiffsarzt Dr. Theodor Bender in Hamburg zu einem Zweikampf mit Graf Luckner antrat und beide das Hamburger Telefonbuch zwischen ihren Händen zerrissen. Es kam damals nur auf die Zeit an, die man zum Zerteilen brauchte, und da gewann Graf Luckner. »Der hat dabei einen Trick!« schrie damals Dr. Bender. Er war drei Köpfe kleiner als Luckner, aber genauso breit wie der Graf. »Los! Zerreißen wir das Telefonbuch von New York!« Aber dazu war es nie gekommen, weil in Hamburg kein Telefonbuch von New York aufzutreiben war. »33 Jahre –«, sagte Dr. Bender und wedelte sich mit der Offiziersmütze Luft ins Gesicht, was bei dieser Schwüle wenig nützte. »Ich kenne diese ›Fidelitas‹ bis zur letzten Niete. Fidelitas – die Treue, die Zuverlässigkeit! Welch ein Blödsinn! Der Kahn müßte ›Fimetum‹ heißen. Misthaufen! Und das wäre noch ein Kosename.« Er sah Dr. Wolff an, klemmte die Mütze unter die Achsel und schüttelte den Kopf. »Was haben Sie verbrochen, daß die Reederei Sie auf dieses Schiff versetzt?«
    »Ihre Pensionierung.« Wolff lachte wieder. »Der alte Bender … das ist auf See schon eine Sagengestalt. Ob Sie's glauben oder nicht – und wenn Sie's auch für blöd halten –, ich bin glücklich, Ihr Nachfolger zu werden. Wenn Sie es hier ausgehalten haben …«
    »Weil ich zu faul bin, junger Freund. Ich war mein ganzes Leben lang faul, bequem, träge. Ich habe mich über alle Meere schaukeln lassen, habe gesoffen, gefressen und geliebt – genau in der Reihenfolge, andersrum wäre anstrengender –, habe meinen Arztdienst an Bord wie ein Buchhalter vor seinen Zahlenkolonnen verrichtet, bin dabei weiß und klapprig geworden und habe mich mit Gift und Galle geladen wie eine Haubitze mit Pulver. Warum? Wenn Sie nach dieser Fahrt zurückkommen, das heißt, wenn Sie sie überleben und ich dann auch noch lebe, rufen Sie mich in Hamburg an. Wenn Sie dann zu mir sagen: Lieber alter Döskopp, die ›Fidelitas‹ ist ein herrliches Mädchen, gehören Sie entweder ins Irrenhaus oder in die Galerie der größten Träumer dieser Welt. Kommen Sie, gehen wir an Bord. Ich zeige Ihnen den Pott. Lassen Sie Ihr Gepäck noch beim Zoll – vielleicht verzichten Sie drauf, es abzuholen.«
    Noch einmal blickte Dr. Wolff an der hochragenden Bordwand empor. Eines stimmte: Der Lack war neu. Der erste Eindruck des Schiffes war faszinierend. Ein Luxushotel auf dem Wasser. Eine schwimmende Stadt der Eleganz. Ein schimmerndes Kleinod der Meere. »Sie lieben dieses Schiff, Dr. Bender«, sagte er.
    »Ich hasse es! Gehen wir. Je schneller der Abschied, um so flotter das Vergessen.«
    Die Bordwache an der Gangway, zwei junge Matrosen, grüßte stramm, als sie das Schiff betraten. Neugierig sahen sie den jungen Arzt an, der nun der Nachfolger von ›Vater Theo‹ werden sollte. Auf dem Oberdeck I schrubbte eine Kolonne von sieben Matrosen die Sonnenplattform. In drei Stunden würde hier Liegestuhl neben Liegestuhl stehen, besetzt mit erlebnishungrigen, erwartungsvollen Passagieren. Noch aber schlief das Schiff – was an Arbeiten zu tun war, geschah fast lautlos.
    »Ihre neue Welt –«, sagte Dr. Bender. Bitterkeit und Traurigkeit schwangen in seiner Stimme. Es war einfach gelogen, daß er das Schiff haßte. »Sie wird Sie auffressen, Dr. Wolff. Denken Sie ab und zu an meine Worte …«
    Eine Stunde später saßen sie in der Arztkabine neben dem OP, dem Untersuchungszimmer und der Bordapotheke. Ein schöner, heller Raum mit altenglischen Seemöbeln aus Mahagoni und Eibenholz, blanken Messingbeschlägen und blankgesessenen, grünen Lederpolstern.
    »Ihre Möbel, Dr. Bender?« fragte Dr. Wolff.
    »Ja«, antwortete der alte Arzt einsilbig. Die Stunde des Abschieds war gekommen.
    »Warum sind sie noch nicht abgeholt worden?«
    »Sie bleiben an Bord. Sie gehören zu dem Mistkahn, und sie werden mit ihm absaufen. Ich will sie nicht mehr sehen in meinem weiteren ruhigen Leben. Das fehlte noch, daß ich einen Teil der ›Fidelitas‹ immer um mich habe! Ich schenke Ihnen den Plunder. Einschließlich der
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