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Hahn im Korb.

Hahn im Korb.

Titel: Hahn im Korb.
Autoren: Andrea Camilleri
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haben …«
      »Der wußte nicht mal, was eine Zementfabrik ist. Das war ein Schäfer aus Raccusa, der hin und wieder in dieser Gegend vorbeikam; den haben sie weiß der Geier wo wegen irgendeiner Geschichte mit Schafen oder so umgebracht und dann hierhergeschafft, um Corbo eins auf den Deckel zu geben.«
    »Und die Schüsse von heute nacht auf Don Vito?«
      »Einen feuchten Kehricht hat der Ermordete mit den zwei Schüssen auf Vito zu tun.«
      »Nun, das war nur so dahergesagt. Da könnte auch irgendeine Geschichte sein zwischen …«
    »Also, wenn wir den Mund aufmachen wollen, um Wind zu machen, ist das ein Ding. Doch wenn wir ernsthaft miteinander reden wollen, dann tun wir das gefälligst, beim heiligen Strohsack! Sehen Sie, wenn es nicht stimmt, was ich sage, können Sie mir mit dem Rasiermesser, das Sie gerade in der Hand haben, die Eier abschneiden. Wissen Sie nicht, was für ein Typ der Vito ist? Wenn einer an dem vorübergeht und, die Zuhörer mögen sich die Ohren zuhalten, einen fahren läßt, ist der in der Lage, ohnmächtig zu werden.«
    »Das ist mir bekannt.«
      »Ja also?! Man sieht, daß irgendein Hundesohn ihm einen Schrecken hat einjagen wollen. Lausbubenstreiche sind das, mein Freund. In zwei Tagen wird sich herausstellen, daß es ein Scherz, ein Schabernack war, und das Ganze endet in einer fröhlichen Tafelrunde, einer Riesenfresserei in Catenas Taverne, und Vito bezahlt.«
    »Schneiden wir auch den Bart?«
    »Schneiden wir ihn.«
      Jetzt hieß es, aus dem Haustor treten, nicht zu dem abgebröckelten Verputz hochschauen, die ersten Schritte unter dem grellen Sonnenlicht tun, das, so schien ihm, sein Innerstes vor den Augen seiner Mitbürger entblößte. Seine Nerven waren zu einem Bündel von Angst verknäult, und nach der Entdeckung, daß bei der Witwe Tripepi keineswegs schon der Ofen aus war, war sein Blut zu Wasser geworden. Er mußte sich dazu zwingen, wie an den anderen Tagen zu sein, nicht besorgter und nicht heiterer als gewöhnlich. Er schwitzte, aber es war ja Sommer, und der schlug vor seinem Abschied noch einmal mit letzter Grausamkeit zu und lieferte ihm ein Alibi, ganz selbstverständlich das Taschentuch aus der Hosentasche zu ziehen und sich damit von Zeit zu Zeit die Stirn abzutupfen.
      Die Litanei der morgendlichen Grußworte an Bekannte und Freunde, deren jeweiliger Tonfall einer strengen Hierarchie von Zuneigung, Liebenswürdigkeit, Respekt und Brauch folgte, ging ihm wie üblich über die Lippen. »Wie geht's, wie steht's, Filì?« – »Sei gegrüßt, Toto.« – »Küß die Hand, Don Vice.« – »Guten Tag, Pepè.«
    Doch dieses Geflecht von Stimmen, das an anderen
    Tagen der lebendige Ausdruck friedfertigen Einvernehmens mit allen war und ihm Wohlempfinden verschaffte wie der warme Sonnenschein der Katze, hatte dieses Mal einen falschen Unterton. Vito bemerkte oder meinte zu bemerken, wie der eine oder andere Gruß durch eine halbe Geste, einen schrägen Blick, ein nicht ganz ausgesprochenes Wort, eine zweideutige Gebärde in etwas Düsteres und Erbarmungswürdiges zugleich verwandelt wurde: Als gäbe man sich ihm gegenüber wie an der Bettstatt eines unheilbar Kranken, der nicht um die Schwere seines eigenen Leidens weiß. Längst war er gezeichnet, es gab kein Entrinnen für ihn: Das Verhalten der Dorfbewohner sprach den zwei Schüssen ein eindeutiges Ziel zu und korrigierte die Schußbahn, die er vergeblich umzulenken versucht hatte, raubte ihm gnadenlos jede Hoffnung und Illusion und ließ die Kugeln in einen bestimmten Punkt zwischen Nacken und Schultern auftreffen.
    Mammarosa lehnte am Türrahmen der ebenerdigen Kate
    und wartete ganz offensichtlich auf ihn; mit Verdruß wurde er sich bewußt, daß er Mammarosas Fragen nicht standhalten, keine Gleichgültigkeit an den Tag legen könnte. Er wich nach rechts aus in der trügerischen Hoffnung, daß der Klang seiner Schritte sich mit den anderen Geräuschen der Straße vermischte. Für eine Weile erwiderte er die Grußworte der Passanten mit einer Handbewegung, begleitet von einem vagen, undeutlichen Gemurmel, bis er rasch außerhalb der Reichweite des Blinden war. Doch auf die momentane Erleichterung folgte eine befremdliche Verblüffung, ähnlich der, die ein friedfertiges Wesen verspürt, wenn es in außergewöhnlichen Fällen gezwungen ist, Gewalt anzuwenden, und sich danach fragt, welcher unbekannten Seite seines Ichs ein solches Verhalten nur entspringen könnte. So wunderte sich Vito, woher er
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