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Hahn im Korb.

Hahn im Korb.

Titel: Hahn im Korb.
Autoren: Andrea Camilleri
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wieder zum Sprechen brachte, geradezu legendär waren. Doch auch er könne, bei gegebenem Anlaß, genauso böse werden wie Cangemi, und sogar noch böser. Danach rief er dem Bauern den achtjährigen Sohn, die Ehefrau Carmelina und den Esel ins Gedächtnis, die er allein auf dem Land ihrem Schicksal überlassen hatte, und wenn er so weitermachte, könnte er seine Heimkehr in den Wind schreiben. Er malte ihm aus, wie er genötigt sein würde, seinen kleinen Acker zu einem Schleuderpreis an den habgierigen Nachbarn zu verkaufen und zählte geschickt zukünftige Mißernten, Krankheit und Hungersnot auf. Als er glaubte, daß seine Worte die gewünschte Wirkung erzielt hatten, sprang er auf, stürzte sich mit Gebrüll auf den verdutzten Bauern und schüttelte ihn brutal.
    Als der Bauer wieder zu Atem kam, fing er wie ein Wasserfall an zu reden. Seit drei Tagen, sagte er, quälten ihn Angst und Gewissensbisse, weil er, Salvatore Argento, immer eine saubere Weste gehabt habe, nie habe er sich irgendwo einmischen, nie habe er über seine Verhältnisse leben wollen, und jetzt hätten diese Schandkerle ihn gezwungen, Dinge zu tun, die er sich nicht im Traum hätte vorstellen können.
      Er erzählte der Reihe nach: Drei Tage zuvor hatte er am frühen Morgen bei seinem üblichen Rundgang über den Acker auf dem Pfad den noch frischen Toten gesehen.
    »Was heißt hier frisch ?«
      Frisch hieß, es war zu erkennen, daß er im Höchstfall in der vorherigen Nacht ermordet worden war und sich in beinahe derselben Position befand, in der der Maresciallo ihn gesehen hatte – mit dem Sack, den Schuhen und allem Drum und Dran.
    »Kanntest du ihn?«
    »Vom Sehen.«
    »Habt ihr manchmal miteinander geredet?«
    »Guten Morgen und guten Abend, sonst nichts.«
      »Warum bist du nicht gleich zu mir gekommen, als du ihn entdeckt hast?«
      Und da wurde es schwierig. Am Hemd des Toten war mit einer Sicherheitsnadel – darin wollte er ganz genau sein, je mehr Einzelheiten er auftischte, um so besser – ein Zettel angebracht, auf dem stand, die möglichen Passanten sollten den Toten nicht eher als drei Tage nach dem Auffinden melden.
      »Aber du kannst doch gar nicht lesen, wie hast du dann gewußt, was da geschrieben stand?«
    »Ich habe mir helfen lassen.«
    »Von wem?«
    »Von meinem Sohn.«
    »Dem Achtjährigen?«
      »Ja, der Herr. Er ist ein gescheites Bürschchen, er besucht die zweite Klasse.«
    Nachdem er sich also den Zettel hatte vorlesen lassen
    und seine Frau und den Sohn zum Schweigen verdonnert hatte, war er zu dem Entschluß gekommen, keinem ein Sterbenswörtchen zu verraten.
    »Und wo ist der Zettel jetzt?«
      Um einen Stein gewickelt faulte er seit drei Tagen auf dem Grund eines Brunnens vor sich hin.
    »War er mit Kugelschreiber oder Bleistift geschrieben?«
    »Mit Kuli.«
    »In was für einer Schrift? In Druckschrift?«
      Nachdem diese Frage dem Bauern näher erläutert worden war, antwortete der, er glaube, die Schrift sei wie in den Zeitungen gewesen – Druckschrift also. Nachdem er den Entschluß gefaßt hatte zu schweigen, hatte er sich beeilt, den Toten mit Gesträuch zu bedecken.
      »Hattest du Angst, ein anderer, der weniger schlau ist als du, würde zu uns kommen und uns von der Entdeckung erzählen?«
      Nein, das war nicht der Grund. Der Grund war ein anderer: Es war ihm einer Christenseele nicht für würdig erschienen.
    »Aber was denn?«
    »Ihn auf freier Flur liegen zu lassen.«
    »Warum?«
    »Ich wollte nicht, daß die Hunde ihn auffressen.«
      Am Ende der drei Tage hatte er die Strauchwedel entfernt und war in die Kaserne geeilt. Das war alles.

    »Öffnen Sie, Signora, beim Heiland im Himmel, machen Sie auf!«
    »Nein, ich mache nicht auf, gehen Sie weg.«
    »Ich gehe nicht weg, bevor Sie mir die Tür nicht
    aufmachen.«
      »Lassen Sie mich in Ruhe, lassen Sie mich doch in Frieden, was wollen Sie eigentlich von mir?«
    »Ich möchte mit Ihnen reden.«
    »Nein, ich mache nicht auf.«
      Dieses Zwiegespräch wurde mit halberstickter Stimme zwischen Vito auf dem Treppenabsatz und der Witwe Tripepi hinter ihrer Wohnungstür geführt, und je mehr Zeit verstrich, um so heftiger fühlte sich Vito von einer ohnmächtigen Wut gepackt, der gleichen, die er manchmal gegenüber der Halsstarrigkeit eines Maultiers oder einer Ziege empfunden hatte.
      Du häßliche, widerliche Bestie, dachte er, wenn du mir nicht aufmachst, renne ich die Tür ein und brech' dir dein Rückgrat mit
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