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Hände weg vom Abendschatten!

Hände weg vom Abendschatten!

Titel: Hände weg vom Abendschatten!
Autoren: Lene Mayer-Skumanz
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und sein Mund war wie ausgetrocknet.
    Es war nicht der Papa, auch nicht die Mama.
    Eine fremde Stimme krächzte: „Du verdammte Arbeitsplatzvernichterin ! Wir werden euch umlegen, beide, erst den Trottel von einem Hund, dann dich!“
    Markus war so verblüfft, dass er „Falsch verbunden!“ murmelte.
    Klick! machte es in der Leitung.
    Er legte den Hörer auf. Gleich darauf schrillte es noch einmal, aber diesmal war er nicht fähig, schnell zuzugreifen. Er hörte Tante Monas Stimme, das hässliche Quieken des Summertons, dann Papas munteren Bassbariton: „ Hallotschi , ihr Lieben, wir sind gut angekommen, die Mama ist toll gefahren, nun sitzen wir noch bei einem Mitternachts-Schlückchen in unserem Zimmer inmitten von Weingärten, ich meine, im Gasthof, inmitten von... Jaja, ich fasse mich kurz. Urlaubsstimmung total. Küsschen von der Mama. Wauwau an Theodor. Guten Mathestart, Markus, ja?“
    Die Stimme brach ab, irgendwo im Hintergrund lachte Mama... Mit einem Gefühl großer Erleichterung ging Markus erst aufs Klo, dann ins Bett zurück. Gähnend zog er die leichte Sommerdecke bis zum Hals. Draußen im Vorgarten schrien zwei Katzen, zwei verliebte oder zwei rivalisierende, wer konnte das an dem jämmerlichen Gemaunze schon unterscheiden! Mit einem Plumps fiel etwas vor die Terrassentür, aber das brachte Markus nicht mehr in Schwung. Im Nu war er eingeschlafen.

    Die Sonne kitzelte ihn wach, keine romantisch-schüchterne Frühmorgensonne, sondern eine energische, kraftvoll strahlende Vormittagssonne. Er nieste, drehte sich auf den Bauch, starrte ungläubig den Wecker an („Halb zehn? Gibt’s doch nicht!“) und horchte. Irgendetwas hopste und stampfte und pfiff im Haus. Tante Mona doch wohl nicht? Markus wälzte sich mit gemischten Gefühlen aus dem Bett.
    Im Vorzimmer tappte ihm Theodor entgegen, umrundete ihn und stieß ihm freundschaftlich die Schnauze in die Kniekehle. Im Türrahmen zum Wohnzimmer sprang ein hoch gewachsenes, mageres Geschöpf von einem Bein aufs andere, indem es in flottem Rhythmus abwechselnd den rechten Ellbogen auf das linke Knie und den linken Ellbogen auf das rechte Knie schlug. Vor dem Gesicht schwangen halblange Haarsträhnen in Blond und Himmelblau im Takt dieses seltsamen Tanzes. Markus erkannte beim ersten Hingucken nicht, ob es ein Junge oder ein Mädchen war. Dann bemerkte er das munter wippende Auf und Ab unter dem T-Shirt.
    „He, Marie-Theres“, schrie Tante Mona aus der Küche, „hast du nicht schon blaue Flecke auf den Knien?“
    „Klar hab ich die, Tante Mona“, schrie das Mädchen zurück, hielt inne und strich sich das himmelblaublonde Haar aus dem erhitzten Gesicht. Sie entdeckte Markus, betrachtete ihn mit einem scharfen Blick vom Kopf bis zu den nackten Zehenspitzen und sagte: „Hallo, Kleiner!“
    Sie war um einen halben Kopf größer als Markus.
    „Hallo, Hampelfrau“, sagte Markus. „Ich heiße Markus und bin bereit, dich unter gewissen Umständen Marie-Theres zu nennen. Was soll das Gehopse ?“
    „Das ist mein Anti-Stress-Programm“, antwortete sie. „Allein der Gedanke an Mathe macht mir Stress, verstehst du? Darum muss ich vor dem Lernen den Stress wegtrainieren und dafür sorgen, dass meine rechte und meine linke Gehirnhälfte ordentlich zusammenarbeiten.“
    Sie legte sich eine Hand auf die Stirn, die andere hinten in den Nacken und ließ die Augen im Kreis rollen. Markus flüchtete ins Badezimmer.
    Während er sich die Zähne putzte, hörte er einen weiteren „Mathe-Fall“ ins Haus kommen. Eine im Stimmbruch befindliche Stimme sagte teils brummend, teils gicksend: „Die Mama freut sich, dass ich den langjährigen mittleren Niederschlag in unserem Raum schon so gut berechnen kann, und schickt Ihnen diesen Kuchen, Frau Veith!“
    „Aber, Michi, deine Mama soll sich doch nicht so viel Mühe machen! Die hat doch mit euren Zwillingen genug zu tun!“
    „Hat sie, Frau Veith, aber es geht ihr immer im Kopf herum, dass Sie kein Geld nehmen für die Nachhilfe, und so hat sie Ihnen diesen Kuchen —“
    „Papperlapapp, Nachhilfe, ich bin kein Nachhilfe-Institut, ich bin nur eine gewesene Wassersachverständige ohne Freizeit und nunmehrige Pensionistin mit unglaublich viel Freizeit, und wir betreiben gemeinsam Mathe! Über diesen Kuchen werden wir uns gleich stürzen, zu viert! Mein Neffe Markus ist gestern angekommen.“
    Als Markus wenig später ins Wohnzimmer trat, saßen da Tante Mona und Marie-Theres an einem wunderschön für vier Personen
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