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Hades und das zwoelfte Maedchen

Hades und das zwoelfte Maedchen

Titel: Hades und das zwoelfte Maedchen
Autoren: Aimée Carter
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seine Entscheidung mitzuteilen. Ganz tief in seinem Innern wusste er, dass die anderen es nicht gut aufnehmen würden, sosehr sie auch behaupteten, ihnen läge viel an seinem Wohlergehen. Auch wenn er es wollte, auch wenn er bereit dafür war – für sie wäre es nur eine weitere Last auf ihren Schultern, der niemand von ihnen gewachsen war. Und auch wenn ihm das, was er vorhatte, Schuldgefühle bereitete, erhob er sich schließlich von seinem Thron und blickte in die Runde der versammelten Götter auf dem Olymp. Bedeutsam hielt er den Blick eines jeden nacheinander fest.
    „Ich möchte vergehen.“
    Die Worte, die er im Kopf so lange geübt hatte, schlüpften ihm über die Lippen, als wären sie nichts. Und so lange, wie der Rat sich daraufhin in Schweigen hüllte, begann er sich zu fragen, ob er sie vielleicht tatsächlich nicht ausgesprochen hatte.
    „Vergehen?“, wiederholte Walter schließlich, als spräche Henry in einer Sprache, die er noch nie gehört hatte.
    „Ja, vergehen“, bestätigte Henry geduldig. Damit hatte er gerechnet. „Mir ist klar, dass meine Rolle auf dieser Welt eine sehr gewichtige ist, aber ich kann den Gedanken an die Ewigkeit nicht länger ertragen. Wir alle haben zahllose Lebzeiten hinter uns. Ich wünsche, meiner jetzt ein Ende zu setzen.“
    „Aber … warum?“, ertönte eine verzagte Stimme neben ihm, und Henry sah hinab auf Demeter – Diana. Seit Persephones Tod hatten sie nicht mehr viel miteinander geredet, aber das Band zwischen ihnen war nach wie vor da, war in den endlosen Flammen der Trauer sogar noch fester geschmiedet worden. Wenn sie es nicht verstand, bestand erst recht keine Hoffnung, den Rest des Rats zu überzeugen.
    Er blickte ihr geradewegs in die Augen. „Ich bin allein. Hier oben habt ihr alle einander, aber ich habe niemanden. Und trotz meiner redlichen Bemühungen, der König zu sein, den meine Untertanen brauchen, kann ich es nicht länger allein ertragen.“
    „Was kannst du nicht länger ertragen?“, hallte Calliopes Stimme weit fester als seine eigene durch den Saal. „Deine Herrschaft ohne eine Königin an deiner Seite? Oder dein Dasein ohne eine Gefährtin?“
    In ihrer Frage schwang ein listiger Unterton mit, den Henry jedoch ignorierte. Wenn sie andeuten wollte, sie könnte an seine Seite treten, ob als Königin oder als Gefährtin, würde er sie erneut abweisen müssen. In den letzten vierhundert Jahren hatte sich nichts an seiner Einstellung geändert.
    „Beides“, antwortete er schlicht. „Für mich als König ist der Zustrom neuer Untertanen viel zu groß, um ihn allein bewältigen zu können. Und für mich als Mann ist die Einsamkeit nicht mehr zu ertragen.“
    „Aber es muss doch einen anderen Weg geben“, flehte Diana und streckte die Hand nach ihm aus. Er erlaubte ihr, die seine zu ergreifen. „James weiß, wie die Unterwelt funktioniert. Vielleicht könnte er …“
    „Nein“, schnitt Henry ihr das Wort ab, so sanft er konnte. Komme, was wolle, niemals würde er Seite an Seite mit James arbeiten. „Ich habe meine Entscheidung getroffen, und wenn es euer Wunsch ist, dass James an meine Stelle tritt, wenn ich fort bin, dann soll es so sein. Aber ich möchte jetzt von meinem Thron zurücktreten.“
    „Und wir erlauben es dir nicht“, entgegnete Calliope.
    „Bei allem gebührenden Respekt, Schwester, du bist nicht die Vorsitzende dieses Rats“, erinnerte Henry sie, und trotz des blanken Schocks auf ihren Zügen bei seiner Zurechtweisung wandte er sich an Walter, um dessen Worte zu hören. Sein Bruder mochte zwar der Inbegriff von Stolz sein, aber wenn er Henry auch nur das kleinste bisschen Liebe entgegenbrachte, konnte er ihm dies nicht verweigern. Es war sein Leben, seine Ewigkeit, die er nach seinen Wünschen verbringen konnte. Und er wünschte, zurückzutreten und zu vergehen.
    Einen langen Moment sagte Walter nichts, die Augen fest auf Henry gerichtet. „Ist das wahrhaftig dein Wunsch? Uns im Stich zu lassen? Dich nach ein paar Jahrhunderten in Einsamkeit feige geschlagen zu geben?“
    „Im Angesicht einer Ewigkeit in Einsamkeit“, korrigierte ihn Henry.
    „Weil du nicht bereit bist, in die Ferne zu schweifen und dir eine neue Königin zu suchen.“
    „Weil ich es nicht kann.“
    „Deine Weigerung, etwas zu unternehmen, darf nicht bedeuten, dass der Rest von uns bestraft wird.“
    „Und eure Weigerung, etwas zu unternehmen, sollte auch nicht bedeuten, dass ich bestraft werde“, erwiderte Henry. „Lass mich das
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