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Hades und das zwoelfte Maedchen

Hades und das zwoelfte Maedchen

Titel: Hades und das zwoelfte Maedchen
Autoren: Aimée Carter
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hätte, wenn er ihr Angebot angenommen hätte. Damit würde er sich trösten müssen. Dankbarkeit konnte er jetzt nicht erwarten, wohl auch nicht in näherer Zukunft. Aber er hoffte, dass sie eines Tages, wenn sie ihr Glück gefunden hatte, an diesen Moment zurückdenken würde. Dass sie die Zukunft sehen würde, die er ihr ermöglicht hatte. Die Zukunft, die er ihr gewünscht hatte.
    „Ich hoffe, du kommst mich besuchen, auch wenn ich es verstehen würde, wenn du es nicht tust“, sagte er leise.
    Sie schluckte. „Ich werde mein Bestes tun“, entgegnete sie unverbindlich. „Aber jetzt muss ich gehen.“
    Knapp nickte er. „Ich bringe dich nach draußen.“
    „Ich kenne den Weg.“ Sie knickste, und er antwortete mit einer tiefen Verbeugung. „Pass auf dich auf, Hades. Und leg dir einen Namen zu, bevor Walter noch wütender wird, als er es sowieso schon ist.“
    „Ich werde mein Bestes tun“, murmelte er. „Hast du irgendwelche Vorschläge?“
    Calliope musterte ihn, und in ihrem Blick lag etwas Berechnendes. Aber wann war das nicht der Fall? Wenigstens war ihr Herzschmerz an einen Ort verschwunden, an dem Hades ihn nicht sehen konnte. „Ich hatte das Privileg, einige Zeit in England zu verbringen, wo ich viele Könige habe aufsteigen und fallen sehen. Manche waren albern, aufgeblasen und viel zu verliebt in ihren Titel und die Kunst des Krieges, aber manche haben ihr Volk auch wirklich geliebt. Ihnen lag am Wohlergehen ihres Landes. Einer meiner Lieblinge hat mich ein wenig an dich erinnert. Sein Name war Henry.“
    „Henry.“ Leise sprach er den Namen ein paarmal vor sich hin, um sich an seinen Klang zu gewöhnen. Natürlich waren ihm schon viele Henrys begegnet, wenn auch vielleicht nicht der, von dem Calliope sprach. Aber der Name war verbreitet genug, dass er sich sicher sein konnte, damit nicht aufzufallen. Er könnte er selbst sein, ohne all die Mythen, die jeden seiner Schritte überschatteten. Niemand würde seinen Namen hören und sofort den Tod fürchten. Es wäre eine Erleichterung, sich von einer solchen Bürde zu befreien. „Also dann. Von jetzt an heiße ich Henry.“
    Calliope lächelte, und diesmal war es ein ehrliches Lächeln. Doch schon kurze Zeit später wich es wieder einer traurigen Miene, und sie seufzte. „Pass auf dich auf, Henry.“
    „Du ebenso“, erwiderte er und beugte sich vor, um ihr wie schon so oft einen Kuss auf die Wange zu drücken, doch sie trat zurück. Für einen Moment verrutschten ihre Schutzschilde, und die Pein, vor der er sich gefürchtet hatte, drängte nach außen. Sie war nicht vergleichbar mit den Seelenqualen, die er seit Persephones Tod durchlitten hatte, aber Schmerz war kein Wettbewerb, und der ihre war genauso real wie sein eigener.
    Er blickte ihr hinterher, sah sie rasch aus dem Raum schlüpfen, bevor er es über sich brachte, sich von ihr zu verabschieden. Selbst wenn sie eines Tages zurückkehrte, würde es niemals wie vorher sein, und schon jetzt trauerte er um ihre Freundschaft. Aber es war besser so. Für sie beide. Sie verdiente ein Leben, das er ihr niemals würde geben können. Ein Leben voller Sonnenschein und Liebe. Niemals könnte er sich verzeihen, wenn er ihr solches Leid zufügte wie Persephone.
    Er schloss die Augen, glitt durch die Leere des Raums und kehrte zurück in sein Schlafzimmer, um von dem Leben zu träumen, das er verloren hatte. Vielleicht würde er eines Tages wieder mehr sein als ein bloßer Schatten; vielleicht würde er eines Tages sein Glück finden, wie auch immer es dann aussehen mochte. Bis dahin würde er sich jedoch mit seinen Träumen zufriedengeben müssen.
    Wild wirbelten seine Gedanken durcheinander, während er überlegte, in welcher kleinen Erinnerung er heute Nacht Trost finden konnte. Doch auch wenn die Zeit um ihn herum weiter verging und ihn zwang, mit ihr zu gehen, blieb sein Herz stumm. Und das würde es von jetzt an für alle Zeit bleiben.

NIEDERLAGE
    Henry konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, wann er aufgegeben hatte. Es hatte sich herangeschlichen wie ein Dieb in der Nacht, hatte ihm Stück für Stück seine Zukunft gestohlen, bis ihm nichts mehr geblieben war. Vielleicht war es kein einzelnes Ereignis gewesen – vielleicht war es eine Ewigkeit von Kleinigkeiten, die sich zu einem tödlichen Sturm vereint hatten. Vielleicht war es aber auch gar nichts.
    Was auch immer es war, nachdem jener Moment gekommen und vergangen war, brauchte er weitere hundert Jahre, um den Mut zu finden, dem Rat
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