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Hades und das zwoelfte Maedchen

Hades und das zwoelfte Maedchen

Titel: Hades und das zwoelfte Maedchen
Autoren: Aimée Carter
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Thronsaal hinaus. Die Korridore waren von ewigen Fackeln erleuchtet, die seiner Wohnstatt etwas Unheimliches verliehen, doch ihm war es lieber so. Es wäre ein Leichtes für ihn gewesen, ein Licht zu schaffen, in dem die Schatten nicht so tanzten, doch das hätte seine Einsamkeit nur noch schlimmer gemacht.
    Als sie gemeinsam ein gemütliches Wohnzimmer betraten, das er aus Mangel an Gelegenheit lange nicht mehr benutzt hatte, folgte er ihrem Beispiel und sah sich um, als sähe er den Raum zum ersten Mal. Seltsam, wie die Gewohnheit etwas einstmals Vertrautes fremd werden lassen konnte. Er rief Tee herbei und goss ihnen beiden ein, und als er sich neben ihr aufs Sofa setzte, bemerkte er, wie sie näher rückte. Vielleicht hatte sie ihn einfach vermisst. Oder sie spürte, wie sehr er irgendeine Form von Trost brauchte.
    „Hier hat sich nicht viel verändert“, stellte sie fest, während sie an ihrer Tasse nippte. „Wie kommst du zurecht?“
    „Es ist lange her, dass mich das jemand gefragt hat“, bemerkte er mit einem schwachen Lächeln, auch wenn weder ihre Anteilnahme noch seine Feststellung ihn mit Freude erfüllten. „Ich nehme an, es ging mir schon mal besser.“
    Calliopes Miene verfinsterte sich. „Ja, vermutlich.“ Sie legte ihre Hand auf seine. „Gibt es irgendetwas, das ich tun kann?“
    Er schüttelte den Kopf. „So mächtig und bezaubernd du auch bist, ich fürchte, es gibt nichts, das irgendjemand tun könnte.“
    Sie errötete und senkte für einen Moment den Kopf. Bescheidenheit wirkte an ihr verkehrt. „Du bist zu gütig.“
    „Kaum. Es ist nicht meine Schuld, dass Zeus – äh, Walter – nicht zu schätzen weiß, was er an dir hat.“
    Verärgerung zuckte um ihre Mundwinkel – und vielleicht auch noch etwas Tiefergehendes. „Nein, das weiß er nicht. Hast du dir noch keinen neuen Namen ausgesucht?“
    „Leider hatte ich noch nicht wirklich die Muße dafür. Noch scheint mir die Auswahl nicht besonders verlockend.“
    Sie schnaubte tadelnd. „Du siehst hier unzählige Menschen durchkommen. Irgendeiner muss doch einen Namen gehabt haben, der dir gefällt.“
    „Ihre Namen gehören ihnen. Ich könnte sie ihnen nicht stehlen, wie Diana es mit Ella getan hat.“
    Calliope grinste. „Ich glaube, das hat sie nur gemacht, um ihr eins auszuwischen für die Kommentare, die Ella über sie und Walter gemacht hat.“
    „Und du stimmst Ella nicht zu?“, fragte Hades. „Ich hätte gedacht …“
    „Ich weiß, was Walter so treibt“, entgegnete sie schulterzuckend. „Jetzt hat es auch keinen Zweck mehr, dagegen anzugehen.“
    Nachdem er Äonen lang Geschichten von Calliopes Eifersucht gehört hatte und sie teilweise selbst miterlebt hatte, war dies definitiv eine unerwartete Wendung. Schweigend nahm Hades ihren Gesinnungswandel in sich auf. „Hast du also auch jemanden gefunden?“
    Über ihre Züge huschte ein seltsamer Ausdruck, und sie hielt das Kinn ein winziges Stück höher als sonst. „Und wenn ich sagen würde, dass es so ist?“
    „Das würde mich freuen“, behauptete er trotz der Bitterkeit, die sich in seine Eingeweide fraß. Selbst Calliope fand Liebe, während er auf ewig in Einsamkeit gehüllt bleiben würde, bis ans Ende aller Zeiten. Und vielleicht würde er nicht einmal dann Erlösung finden. „Darf ich fragen, wer der Glückliche ist?“
    Es entstand eine Pause. Hera – Calliope – sah es nicht ähnlich, so um den heißen Brei herumzureden, außer, sie wollte etwas. Aber was könnte sie von ihm schon wollen? War ihr neuer Geliebter sterblich? Wollte sie, dass Hades ihn verschonte, bis sie mit ihm fertig war?
    „Du darfst“, murmelte sie schließlich zögernd, während ihre Hand sich wieder seiner näherte. „Aber nur, wenn du glaubst, dass du bereit für die Antwort bist.“
    „Und warum sollte ich nicht …“
    Ihre Finger streiften seine, und er hielt inne. Calliope hielt seinen Blick fest, Ernsthaftigkeit und Berechnung zugleich in ihren blauen Augen, und lehnte sich ihm entgegen. „Du weißt, warum“, sagte sie leise. „Du hast es immer gewusst.“
    Hades erstarrte vollkommen, erlaubte nicht einmal mehr seinem Herzen zu schlagen. Vielleicht würde dann die Zeit nicht weiterlaufen, und er würde sich niemals den unausweichlichen Konsequenzen dieses Augenblicks stellen müssen.
    Hera. Calliope. Seine Schwester liebte ihn. Sehnte sich nach ihm. Begehrte seine Nähe. Jetzt konnte er sie spüren, jene Fühler von Emotionen, die so alt waren wie die Herrschaft
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