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Haben oder Nichthaben

Haben oder Nichthaben

Titel: Haben oder Nichthaben
Autoren: Ernest Hemingway
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gesagt, Sie sollten die Hemmung locker lassen?»
    «Aber er forderte ja dauernd Leine.»
    «Na, und?»
    «Deshalb hab ich sie festgeklemmt.»
    «Hören Sie mal», sagte ich, «wenn Sie denen keine Leine geben, wenn sie derart anhaken, dann zerreißen sie sie eben. Es gibt keine Leine, die die halten könnte. Wenn sie welche haben wollen, muß man sie ihnen auch geben. Man muß die Hemmung locker lassen. Selbst mit ‘ner Harpunenleine können die Berufsfischer sie nicht halten, wenn sie das machen. Was man machen muß ist, sie mit dem Boot jagen, damit sie sie nicht ganz kriegen, wenn sie lossausen. Nachher, nachdem sie losgesaust sind, gehen sie in die Tiefe, und dann kann man die Hemmung festschrauben und die Leine wieder einholen.»
    «Dann hätte ich ihn also gekriegt, wenn sie nicht gerissen wäre?»
    «Sie hätten ‘ne Chance gehabt.»
    «Der hätte das nicht lange so weitermachen können, was?»
    «Der kann noch allerhand sonst. Erst nachher, nachdem er losgesaust ist, geht der Kampf an.»
    «Na, dann wollen wir mal einen fangen», sagte er.
    «Zuerst müssen Sie die Leine aufwinden», sagte ich zu ihm.
    Wir hatten den Fisch angehakt und ihn verloren, ohne daß Eddy aufgewacht war. Jetzt kam unser Eddy nach hinten zum Heck.
    «Was ist denn los?» fragte er.
    Eddy war früher mal, bevor er sich dem Suff ergab, sehr brauchbar an Bord gewesen, aber jetzt taugte er zu nichts. Ich blickte ihn an, wie er lang und hohlwangig dastand, mit schlaffem Mund und dem weißen Zeugs in den Augenwinkeln und seinem Haar, das von der Sonne ganz gebleicht war. Wenn er aufwachte, war er wild darauf, was zu trinken, das wußte ich.
    «Trink mal lieber ‘ne Flasche Bier», sagte ich zu ihm. Er nahm eine aus dem Kasten und trank sie.
    «Na, Mr. Johnson», sagte er. «Ich glaub, ich schlaf erst mal zu Ende. Sehr verbunden fürs Bier, mein Herr.» Eine Nummer, dieser Eddy. Die Fische waren ihm ganz egal.
    Na, so um Mittag hakten wir noch einen an, und er entwetzte. Man konnte den Haken dreißig Fuß tief in die Luft fliegen sehen, als er ihn los schleuderte.
    «Was hab ich denn jetzt falsch gemacht?» fragte Johnson.
    «Gar nichts», sagte ich. «Er hat ihn einfach losgeschleudert.»
    «Mr. Johnson», sagte Eddy, der aufgewacht war, um noch eine Flasche Bier zu trinken, «Mr. Johnson, Sie haben einfach Pech. Na, vielleicht haben Sie Glück bei den Damen. Mr. Johnson, was halten Sie davon, wenn wir heute abend zusammen bummeln gehen?» Danach ging er wieder zurück und legte sich von neuem hin.
    Ungefähr um vier Uhr, als wir dicht unter Land mit der Sonne im Rücken gegen die Strömung, die wie ein Mühlgraben lief, zurückkamen, schnappte der größte schwarze Marlin, den ich je in meinem Leben gesehen habe, nach Johnsons Köder. Wir hatten einen künstlichen Tintenfisch ausgeworfen und hatten vier von den kleinen Thunfischen damit gefangen, und der Nigger hatte einen als Köder an seinem Haken befestigt. Er schleppte ziemlich schwer nach, aber er machte ein großes Gespritz im Kielwasser. Johnson hakte das Lederzeug von der Haspelvorrichtung, um den Angelstock über die Knie legen zu können, weil seine Arme davon ermüdeten, sie die ganze Zeit in Position zu halten. Und weil seine Hände müde wurden, die Spule der Rollvorrichtung gegen das Zerrendes großen Köders zu halten, hatte er, als ich nicht hinsah, die Hemmung festgeschraubt. Ich hatte keine Ahnung davon, daß er sie an hatte. Ich sah ungern, daß er den Angelstock so hielt, aber ich mochte nicht die ganze Zeit über an ihm rumnörgeln. Außerdem, wo die Hemmung los war, konnte die Schnur ja auslaufen, da war keine Gefahr. Aber es war eine schlampige Art zu angeln.
    Ich war am Ruder und arbeitete mich am Rand des Stroms gegenüber der alten Zementfabrik hinauf, da, wo er noch dicht unter Land so tief ist und wo er eine Art Strudel bildet, wo es immer eine Menge Köder gibt. Dann sah ich eine Wassersäule wie von ‘ner Bombe und das Schwert und das Auge und den offenen Unterkiefer und den riesigen schwarzvioletten Kopf eines schwarzen Marlin. Die ganze Rückenflosse stand aufrecht aus dem Wasser raus, und er sah aus wie ein vollgetakeltes Schiff, und der ganze sichelförmige Schwanz war draußen, als er auf den Thunfisch losschmetterte. Das Maul hatte den Umfang von einem Baseballschläger, nach oben abgeschrägt, und als er den Köder packte, schlitzte er das Meer weit auf. Er war ganz und gar schwarzviolett, und sein Auge war so groß wie ein Suppennapf. Er war riesig.
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