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H2O

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Titel: H2O
Autoren: Patric Nottret
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Farben.
    »Auch die Art der Fortbewegung unterscheidet ihn von den Fischen. Er bewegt sich nicht wie ein moderner Fisch fort. Er besitzt die einzigartige Eigenschaft, ›trabend‹ unter Wasser zu schwimmen wie ein Vierfüßer, denn seine Schwimmflossen sind durch Gelenke verbunden.« Der Experte für Ökosysteme ahmte das Traben eines Pferdes nach, und Sénéchal musste sich ein Lachen verkneifen. »Er kann sich auch unvermutet rückwärtsbewegen wie eine Libelle oder ein Hubschrauber. Manchmal legt er auch eine Art Paso doble hin ... Zumindest die wenigen Exemplare, die lebend gesichtet wurden.«
    Giran hielt es nicht mehr auf seinem Sitz. Er rieb sich die Hände.
    »Seine Geschichte beginnt am 22. Dezember 1938 in Südafrika. Der Kapitän eines Fischkutters fährt in den Hafen von East London ein, einem Ort östlich von Kapstadt. Im Museum dieser Stadt langweilt sich die Kustodin, eine gewisse Miss Marjorie Latimer, inmitten von Muscheln und ausgestopften Viechern.« Er schmunzelte. »Wie manchmal auch ich ... An besagtem Morgen geht sie zum Hafen hinunter, um ihre Einkäufe zu erledigen. In den Netzen eines der Kutter entdeckt sie einen sonderbaren Fisch, bei dessen Anblick es ihr die Sprache verschlägt. Ein großer, übel gelaunter Fisch, der ihr, als sie ihn berühren will, in die Hand zu beißen versucht. Die Dame hat ein geschultes Auge und findet, dass dieser blau gepanzerte Fisch mit den weißen, silbrig glänzenden Punkten - so beschreibt sie ihn - keinem Lebewesen ähnelt, das sie jemals gesehen hat. Er ist so groß wie ein Mensch ...«
    Der Forscher warf einen Blick auf seinen hünenhaften Gesprächspartner.
    »Natürlich nicht ganz so groß wie Sie, doch er wiegt genauso viel wie ein Mensch, etwa achtzig Kilo. Miss Marjorie Latimer findet es unfassbar, dass dieses aus den Tiefen der Zeit aufgetauchte Wesen noch existiert. Später wird sie übrigens erklären: ›Es war so, als wäre mir ein Dinosaurier über den Weg gelaufene Sie befragt den Kapitän des Kutters, der ihr erzählt, er habe seine Netze vor der Mündung des Chalumna-Flusses ausgeworfen und dort dieses außergewöhnliche Tier gefangen. Miss Latimer notiert dieses, wie Sie noch sehen werden, bedeutsame Detail, Monsieur Maréchal.« »Sénéchal. Mein Name ist Sénéchal. Vorname: Pierre.«
    »Ja, ja ... Anschließend fertigt sie eine Skizze von dem Fisch an und schickt sie Professor James Smith, einem bedeutenden südafrikanischen Ichthyologen.«
    »Einem was?«
    »Einem Südafrikaner, das Ganze spielt sich in Südafrika ab.«
    »Nein, das Wort danach.«
    »Ach, Pardon! Ein Ichthyologe. Ein Experte der Fischkunde ... Kurz, dieser Smith taucht wenige Tage später in East London auf und identifiziert das Tier als Quastenflosser. Ein lebender Dinosaurier! Die Nachricht schlägt ein wie eine Bombe. Der Quastenflosser von Miss Latimer wird zur größten zoologischen Entdeckung des Jahrhunderts. Es ist, als stünde plötzlich ein Tier aus Jurassic Park vor uns.« Er lachte, wobei seine Schultern bebten und er noch mehr einem Vollblüter auf der Koppel glich. »Damals fängt man an, diesem Tier, das geradewegs der Urgeschichte entsprungen scheint, die Rolle des berühmten ›Missing Link‹ zuzuschreiben. Die Rolle des Vorfahren der Wirbeltiere. Denn man entdeckt, dass mehrere seiner Schwimmflossen Vorstufen von Gliedmaßen enthalten. Oder, besser gesagt, die künftigen Knochen der fünf Finger und Zehen des Menschen. Er könnte also der erste Fisch gewesen sein, der das Wasser verließ, um sich an Land zu begeben.«
    »Dem Ungeheuer von Loch Ness dürfte das einen kräftigen Schrecken eingejagt haben ... Wie lange hatte man diesen niedlichen Fisch aus den Augen verloren?«
    »Nahezu dreihundertfünfzig Millionen Jahre.«

4
 
 
 
    Der Geruch von Zimt und brennendem Akazienholz erfüllt die Luft.
    Eine blaue Schürze um den üppigen Bauch geschlungen, steht die Witwe Hoareau im Licht einer nackten Glühbirne, die neben luftgetrockneten und geräucherten Fleischwaren von der Decke hängt, und bereitet ein Wurst-Rougaille zu, eine landestypische scharfe Sauce.
    Wie auf Réunion üblich, ist ihre Küche - ein niedriger Raum mit Mauern aus Lavagestein - wegen Brandgefahr vom Hauptgebäude getrennt. Das Dach besteht aus Palmblättern, durch die der Rauch von der Feuerstelle abziehen kann. Mit einem Holzstößel zerstampft die Witwe unter heftigem Schnaufen die Mischung aus Chili und grobem Salz. Aus einem Kassettenrekorder erklingen kreolische
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