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Guten Morgen, Tel Aviv

Guten Morgen, Tel Aviv

Titel: Guten Morgen, Tel Aviv
Autoren: Katharina Hoeftmann
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hier manchmal nicht. Das Land ist ja durchaus modern. Es kann wohl als das modernste Land im Nahen Osten bezeichnet werden, wenn nicht sogar als eines der modernsten der Welt. Amerikaner nennen es gerne die Start-up-Nation. Ein Journalistenkollege sagte mir dessen ungeachtet einst Folgendes: »Du darfst nicht vergessen, Katharina, wir sind hier im Nahen Osten. Je schneller du das verstehst und akzeptierst, desto besser wirst du hier klarkommen.« Er mag recht haben.
    Manchmal habe ich das Gefühl, Israel ist mehr Start- als Start-up-Nation. Dinge kommen einem hier manchmal unmöglich vor. Neulich zum Beispiel war der Strom in unserer Wohnung abhandengekommen. Die Jalousien, die man nur elektronisch öffnen kann, waren heruntergelassen, und wir tappten im Dunklen. Nichts ging mehr. Der Elektriker kam und führte uns zum Hauptsicherungskasten. Ich kann sagen, dass die Sicherungskästen, die in einer Art Verschlag unten vor dem Haus angebracht sind, wenig mit westlichen TÜV -Standards zu tun haben. Sie erinnerten mich eher an alte technische Geräte, die man manchmal auf Bildern aus den Jahren der ersten großen Erfindungen sieht. So anno ausgehendes 19. Jahrhundert. Ich schaute mich um, und plötzlich fiel mir auf, dass die Stromleitungen ebenfalls so gar nichts Modernes an sich hatten. Scheinbar wahllos schlängelten diese auf eine rostige Metallvorrichtung zu, manche Kabel waren grün und schienen einfach nur so dort zu hängen. Wie fette Würgeschlangen ploppten dicke schwarze Gummischläuche aus unserem Nachbargebäude.
    »Aber«, sagte ich zum Elektriker, »das ist doch trotzdem sicher, oder?« Er schaute mich an wie ich jüngst den fragenden Schweizer. Ein bisschen mitleidig, ein bisschen verständnislos. So als wollte er sagen: Wie, du weißt es nicht? Es kann sein, dass ich tatsächlich dem Mythos vom Heiligen-Start-up-Pseudo-Europa-Land aufgesessen bin. Die Indizien häufen sich. Denn an dem Haus neben uns wird jetzt gebaut. Man hat eine Art Gerüst drum herum gebaut. Ich sag das mal so, denn diese Holz-Metall-Konstruktion würde in Deutschland bestimmt nicht als Baugerüst durchgehen. Seit ungefähr drei Tagen sitzt ungefähr auf Höhe des zweiten Stocks eine Katze auf dem Gerüst und schreit. Sie traut sich wohl nicht mehr herunter. Sie blickt von ihrer Holzetage auf all die bedrohlich ausgeleierten Stromkabel, ich verstehe ihre Angst.
    Mein wunderbarer Lebensfreund und ich haben also die Feuerwehr gerufen. Eine halbe Stunde später kommen fünf junge Männer in einem Kleinstwagen Marke Fiat Cinquecento oder so um die Ecke gedüst. Sie springen aus dem Minimobil und diskutieren erst einmal eine Weile. Die Katze schreit. Schließlich fasst einer Mut und wirft sich in einen ziemlich beeindruckenden Feuerwehrmann-Anzug. Er sieht jetzt aus, als wolle er das Word Trade Center löschen. Die Katze schreit noch mehr. Der Feuerwehrmann kraxelt behäbig die Holzkonstruktion empor – von unten rufen ihm die anderen vier zu, was er tun soll. 15 Minuten später steigt er erfolglos vom Gerüst. Die Katze ist in ihrer Angst vor dem verkleideten Feuerwehrmann nur immer weiter das Gerüst hochgeklettert. Sie können nichts tun, sagen die fünf und tuckern mit ihrem Playmobil von dannen.
    Ich spielte den Schweizer. Aber das kann doch nicht sein? Die müssen doch diese Katze da irgendwie herunterbekommen. Das Tierchen schrie sich langsam in Ekstase. Ich stimmte hysterisch ein. Kann sie nicht über Italien ausreisen? Mein Wunderbarster schaute mich verzweifelt, vielleicht auch zweifelnd, an. Ohne auch nur ein weiteres Wort zu sagen, verließ er mit einer Dose Tunfisch unsere Wohnung, kletterte auf das Nachbardach und rettete die Katze.
    Ich glaube, mein jüdischer Freund ist der Weihnachtsmann.

Freundschaft
    Gestern hatte ich Geburtstag. Am gleichen Tag wie Israel. Zusammen sind wir 90 geworden, ganz Tel Aviv feierte. Irgendwie hatte ich das Gefühl, all die Feuerwerke und Straßenpartys waren auch für mich. Am Strand gab es den ganzen Vormittag über spektakuläre Schauen mit militärischen und zivilen Flugzeugen. Vor der Küste patrouillierten Kriegsschiffe aller Größen, die Bademeister schrien sich in Ekstase: »Wo ist der Applaus? Für den Ruhm des Staates Israel.« Menschen applaudierten folgsam, aaahten und ooohten. Für den Ruhm.
    Israels Piloten und Marine signalisierten Stärke, alles wird gut, schienen sie aus der Ferne zu rufen. Wir beschützen euch, wir sind da. Neben mir stand mein wunderbarer Lebensgefährte
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