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Guten Morgen, Tel Aviv

Guten Morgen, Tel Aviv

Titel: Guten Morgen, Tel Aviv
Autoren: Katharina Hoeftmann
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Heim. Meine Sicherheit. Meinen Hafen. Ich bin wohl eher der Clown, dem hinter der Bühne unter Tränen die Schminke verwischt. Bevor ich nach Israel bin, haben alle gedacht, inklusive ich selbst, dass meine Stärke sich schon durchsetzen wird. Dass ich wohl keine Probleme haben und mich mit links zurechtfinden werde. Als mich das erste Mal, am fünften Tag nach meiner Ankunft, eine Sekretärin im Sprachkursbüro anbrüllte, machte ich ohne zu antworten auf dem Absatz kehrt und rief heulend meinen Lebensfreund an.
    Ihn verdammte ich bei anderen Gelegenheiten intensiv dafür, dass er mich an diesen schrecklichen Ort gelockt hatte. Ohne Regeln. Ohne Stil. Ohne Umgangsformen. Als ich mich nach acht Monaten im Land von einer Putzkraft in unserem Treppenhaus gedemütigt fühlte, weil ich das hebräische Wort für »Besen« nicht kannte (»Sprichst du kein Hebräisch?«), heulte ich, weil ich mich noch nie so dumm gefühlt habe. Weil ich noch nie in meinem Leben ein Problem damit hatte, mit Menschen zu plaudern oder ins Gespräch zu kommen. Und weil diese beiläufige, beliebige Plauderei mit Menschen, die man einfach irgendwo so trifft, für mich immer sehr wichtig war.
    Ich heulte, wenn meine Eltern am Flughafen ankamen. Und auch dann wieder, wenn sie fuhren. Ich heulte, wenn ich mitten in der lärmenden Schwiegerfamilie saß und mich trotzdem einsam und allein fühlte. Wenn alles, was ich mir in dem Moment wünschte, war, dass meine eigene Familie jetzt bei mir wäre.
    Dass ich Israel immer sehr geliebt habe, hätte ich fast vergessen. So einiges wäre mir fast entgangen. Zum Beispiel dass ich sehr gut zurückbrüllen kann, wenn es sein muss. Besser sogar als einige Israelis. Und dass ich sehr dominant sein kann und unhöflich. Oder dass es manchmal egal ist, ob ich Hebräisch spreche oder nicht. Weil es am Wichtigsten ist, dass ich mich selbst verstehe. Ich hätte fast vergessen, dass ich mir das Ganze selbst ausgesucht hatte. Und dass es keine Alternative gab, die nur annähernd so spannend gewesen wäre.
    Neulich dann heulte ich das erste Mal, weil ich nicht aus Israel wegwollte. Weil es in Deutschland Winter war und bei uns Frühling. Und weil ich das Gefühl hatte, jeder Besuch »zu Hause« wirft mich wieder zurück. Weil ich wieder merke, wie einfach alles sein kann. Dort, wo man sich auskennt. Wo man dazugehört. Wo man sich wehren kann. Dieses Mal wollte ich nicht weg aus Tel Aviv. Wo schon die Vögel zwitscherten und Menschen mich auch mochten.
    Als ich in Berlin im Taxi saß und am grauen Alexanderplatz vorbeifuhr, merkte ich, wie sehr ich es vermisst hatte. Aber nach Weinen war mir nicht. Stattdessen fiel mir das hebräische Wort für Besen ein: »Matateh«. Ich werde es so schnell nicht wieder vergessen.

Der Durchschnittsdeutsche
    Ich habe eine unmögliche Aufgabe. Es ist Holocaust-Tag in Israel, und ich soll in meiner Hausaufgabe für den Sprachkurs über den »durchschnittlichen Deutschen« schreiben. Ich glaube nicht, dass meine Lehrerin das mit Absicht gemacht hat. In der letzten Stunde haben wir einen Text über den durchschnittlichen Israeli gelesen, und sie trug uns dann gewissermaßen in logischer Konsequenz auf, einen Text über den Durchschnittsbürger aus unserem Heimatland zu schreiben. Die anderen Schüler kommen aus Frankreich, Russland, Argentinien und Kolumbien. Sie können über Froschschenkel, Wodka, Tango oder Koks schreiben. Ich habe den Durchschnittsdeutschen. Am Holocaust-Tag.
    Manchmal fehlt mir deutsches Fernsehen. Nicht direkt eine spezielle Sendung, einfach nur die Möglichkeit, auf die Fernbedienung zu drücken und dann durch Programme in meiner Muttersprache zu zappen. Ich habe angefangen, israelisches Fernsehen zu gucken. Vor allem die israelische Version von » DSDS « – aber oft verstehe ich nur die Hälfte. An einem Tag im Jahr gibt es jedoch Sendungen, in denen stundenlang nur Deutsch gesprochen wird. Es fallen Wörter wie »Herrenrasse«, »Untermensch« oder »Judenvernichtung«. Und wenn Hebräisch gesprochen wird, reden die TV -Leute von »Ha Germanim« – den Deutschen. Das ist der Tag, an dem mir wieder schmerzhaft klar wird, dass mein Volk die Verbrechen begangen hat. Mein Volk. Ich bin »germanit«, und sie sind die »germanim« – das sind die gleichen Worte, sie verbinden uns. Das war mir in Deutschland nie so klar wie hier. Dort war es eine abstrakte Schuld, die unser Land auf sich geladen hat. Dort sagt ja niemand mit solcher Distanz »die Deutschen«. Da sind
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