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Guten Morgen, Tel Aviv

Guten Morgen, Tel Aviv

Titel: Guten Morgen, Tel Aviv
Autoren: Katharina Hoeftmann
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bin, denke ich mir schon manchmal, während ich in großen Menschenansammlungen verharre: »Was wäre jetzt, wenn … ?« Ich versuche mir dieses unsägliche Gedankenspiel jedoch abzugewöhnen. Es bringt ja nichts. Ich lebe nun mal nicht in Castrop-Rauxel.
    Ich würde aber lügen, wenn ich sagen würde, dass mich so ein Anschlag nicht völlig aus dem Konzept bringt. Er macht mir Angst, er macht mich traurig und wütend zugleich. Und er macht mich hilflos. Der Anschlag war der erste dieser Art in Jerusalem seit 2004. Er zeigt, dass man sich nicht so sicher fühlen darf, wie man gerne würde. Es kann überall ständig losgehen. So eine Bombe kann in einem Mülleimer liegen, in den man etwas wirft, oder unter einer Parkbank angebracht sein, auf der man sitzt – und nicht immer wird das dann sofort entdeckt, wie die neuesten Ereignisse zeigen. Der israelische Geheimdienst, an den ich sonst zur Beruhigung denke, hatte keine Ahnung. Es gab keine Vorwarnungen wie sonst. Der Angriff kam aus dem Nichts. Meine erste Reaktion war: Ich geh heute nicht mehr vor die Tür. Dann erinnerte ich mich, dass ich ja Sprachkurs hatte. Und um dort hinzukommen, musste ich am Markt vorbei. Oh Gott, fiel mir in diesem Moment ein, nächste Woche muss ich nach Jerusalem. Mit dem Bus. Ich versuchte, die Panik zu unterdrücken. Sie hilft mir nicht, ich lebe hier.
    Als ich schließlich mit meinem Fahrrad auf die Straße fuhr, war alles wie immer. Die Busse waren voll, die Cafés auch. Die Menschen sahen normal aus. Niemand guckte verängstigt oder drehte sich erschreckt bei jedem lauteren Geräusch um. Und ich kam mir plötzlich vor wie der Oberpaniker. Dabei hatte ich mich doch neulich erst über die panischen Deutschen lustig gemacht. Ich entspannte mich und fuhr in normalem Tempo am Markt vorbei.
    Abends dann saß ich bekümmert auf dem Sofa und guckte die Nachrichten des Tages. Gerade kündigte der Innenminister Vergeltung an. Die Kamera schwenkte in die Umgebung. Um den Politiker herum hatten sich vor allem junge Männer versammelt. Dunkelhaarige Proleten standen Schulter an Schulter mit rothaarigen Orthodoxen. Alle waren aufgeregt. Aufgelöst. Neugierig. Wütend. Im Hintergrund stand stumm ein großer kahler Baum. Er hatte seit der Detonation keine Blätter mehr. Dafür hing mitten im Baum, auf dem großen Mittelast, ein orthodoxer Rabbi. Er hatte einen langen grauen Bart und sah wirklich alt aus. Und da stand er nun im Baum und nickte wie im Gebet vor sich hin. Wie war der Rabbi bloß dorthin gekommen? Ich musste lachen. Ein Rabbi im Baum. Selbst im traurigsten Moment ringt Israel sich Komik ab.
    Heute dann explodierte eine Rakete, die in Gaza abgeschossen wurde, nur 20 Kilometer südlich von Tel Aviv. Da verging mir das Lachen wieder. Das wäre, als wenn ich in Berlin-Mitte sitzen würde und die Niederländer bombardieren mal eben Potsdam. Eine ziemlich furchterregende Angelegenheit. Dementsprechend verzweifelt war ich, als plötzlich Freundin B. aus Deutschland anrief. Als ich schniefend abnahm, redete sie direkt darauflos. Dieser Typ macht sie verrückt. Und sie muss ihm jetzt eine Nachricht schreiben, die ein für alle Mal klärt, dass sie da nicht mitmacht. Männergeschichten. Freundin B. hatte Liebeskummer. Das war genau das, was ich jetzt brauchte. Ich habe mich selten so über ihren Anruf gefreut.

Kater koscher
    Meine Kater Dschinji mag am liebsten Whiskas. Und er hatte heute kein Futter mehr. Es ist Pessach. Diese Dinge mögen augenscheinlich nicht zusammenhängen, liebe Leser, bis vor einer Stunde sah ich selbst keinen Zusammenhang. Aber wie ich schon oft zu erklären versuchte, Israel steckt voller Überraschungen. Gerne erläutere ich, wie das Kleine mit dem Großen in tiefem, untrennbarem, schmerzhaftem Zusammenhang steht.
    Es ist also Pessach. Wir feiern den Auszug der Juden aus Ägypten. Die Tage, in denen Moses die Juden zurück ins Land Israel geführt hat. In Ägypten waren sie Sklaven. Pessach ist demnach im Wesentlichen ein Fest der Freiheit, der Befreiung aus der Sklaverei. Blöderweise war der Weg in die Freiheit etwas ungeplant und kam überraschend. Man hatte also keine Zeit mehr, das Brot ordentlich garen zu lassen. Es blieb ungesäuert. Aus diesem Grund, um daran zu erinnern, dürfen religiöse Juden während Pessach nichts Gesäuertes essen. Also kein normales Brot. Keine Pasta. Keine Pizza. Nichts mit Hefe, kein Bier, keinen normalen Whisky und so weiter, und so fort. Ich finde, das ist so weit ein netter
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