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Guten Morgen, Tel Aviv

Guten Morgen, Tel Aviv

Titel: Guten Morgen, Tel Aviv
Autoren: Katharina Hoeftmann
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Stullen. In der Schule im Zickenkrieg pubertierender Mädchen. Ich habe jahrelang Theater gespielt ( die Ausrede für übermäßiges Schrei-Sprechen) und kann locker ein Gespräch über drei Straßen oder quer durch Schallschutzfenster aufrechterhalten. Kaum ein Tag, an dem ich nicht am Telefon, in der Berliner S-Bahn oder durch die Schallschutzscheibe die Worte »Schrei doch nicht so« gehört habe.
    Ich bin eine Brüll-Liese, die nun an ihre Grenzen stößt. Ich kann nicht mehr mithalten. Wie ein in die Jahre gekommener 100-Meter-Jahrhundertläufer, der nur noch traurig im Schotter sitzt und den agilen, gepardenartigen Jamaikanern hinterherschaut. So laufe ich nun mit hängendem Kopf durch die Gassen meiner neuen Heimat und erkenne: Sie sind einfach lauter als ich. Bereits als ich vor fünf Jahren das erste Mal am Esstisch der israelischen Familie meines Liebsten saß, dünkte mir, dass Dinge sich ändern würden. Ein riesiger Streit schien sich direkt vor meinen Ohren abzuspielen. Ältester Bruder und Vater schrien sich unverhohlen ins Gesicht. Begleitet von ausladenden Gesten und bedrohlicher Mimik so furchterregend, dass ich mich tief und tiefer in den Lederstuhl duckte. Heute weiß ich, einer wollte das Salz, der andere den Pfeffer.
    Es ist nicht einfach für mich, mit dieser israelischen Eigenart des kunstvollen und wenig freundlich wirkenden Brüllens klarzukommen. Und das, obwohl ich nicht verwöhnt bin. Ich komme immerhin aus Mecklenburg-Vorpommern. Und habe sechs Jahre Berliner Ämter überlebt. Aber das freundliche Berliner Amtsdeutsch à la »Wat wollnse denn hier. Ick jeb ihnen nicht den Osweis. Könn se nich kieken – den kriejen se nebenaahan« – ich vermisse es. Hier begrüßen mich im Presseamt israelische Brülljinskis, die erst nach beherztem, stimmenüberschlagendem, kreischendem SHAAAAAALOOOOOOOM meinerseits für eine Millisekunde innehalten und ärgerlich fragen. »Was willst du?«
    Ja, zu dem Lärm gesellt sich noch eine Direktheit und, sagen wir es doch ganz direkt, Unfreundlichkeit, die die Israelis Chuzpe nennen. Und dessen Gegenwörter wohl Höflichkeit und Zuvorkommenheit sind. Nun, Herr Höflich oder Frau Zuvorkommend sind mir hier noch nicht begegnet. Das ist aber nicht weiter schlimm, denn mein guter Freund O. hat mir schon den entscheidenden Tipp zur Problembewältigung gegeben: »Sei nie freundlich, Gott bewahre höflich. Höflich sein bedeutet, Schwäche zu zeigen.«
    Und so schreie ich mich nun durch meinen Alltag, immer ein Kreischen auf den Lippen, mit gurgelnder Kehle allzeit bereit. Bissig wie ein alternder 100-Meter-Jahrhundertläufer, der es noch einmal wissen will.

Hochzeit Down Under
    Die israelische Hochzeit ist ein Spektakel für sich. Einmal an dem Punkt angekommen, einen heiratswilligen anderen gefunden zu haben, scheuen Israelis weder Kosten noch Mühen, das Ereignis zu würdigen. Dabei haben alle Hochzeiten eine wesentliche Gemeinsamkeit: Sie verfügen über eine mindestens dreistellige Gästezahl, und nach der religiösen Zeremonie wird Trance-Musik gespielt. Braut und Bräutigam springen dann wie angestochene Kängurus mehr oder weniger engagiert über die teuer angemietete Tanzfläche.
    Neulich war es also mal wieder Zeit für einen solchen Ausflug nach Australien. Die israelische Hochzeit stand an. In diesem Fall handelte es sich um eine Vermählung der besonderen Art. Eine nordisraelische Mafiafamilie lud Heerscharen dazu ein, der Eheschließung ihrer Nummer zwei beizuwohnen. Die Mutter der Braut trug stilecht ein schwarz glänzendes Netzgewand. Die Schwester des Bräutigams war schon beim ersten Tanz besoffen. Zumindest glaube ich das, denn beim Känguru-Tanz sind wir alle gleich. Und vielleicht sah auch ich etwas besoffen aus, wie ich, die einzige echte Blondine unter all den Mizrachi (aus arabischen Ländern eingewanderte Juden), versuchte, meine Hüften zum Bauchtanz-Trance zu schwingen.
    Die Zeremonie selbst glich einer RTL Fight Night. Der DJ , eine Art Michael Buffer ohne Haare, moderierte alle Hochzeitsteilnehmer, inklusive Rabbi, auf Box-Art an. Es hätte mich nicht überrascht, wenn er auch noch »Let’s get ready to rumble« gebrüllt hätte und der Bräutigam im Bademantel zu »Eye of the tiger« aufmarschiert wäre. Nachdem alle im Ring, äh, unterm Hochzeitsdach (genannt Chuppa) eingetroffen waren, rappte der Rabbi los. Und wer ihn dreimal hörte, war nicht betrunken, sondern wurde Zeuge eines faszinierenden Echoeffekts, den man sonst nur von
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