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Guten Morgen, Tel Aviv

Guten Morgen, Tel Aviv

Titel: Guten Morgen, Tel Aviv
Autoren: Katharina Hoeftmann
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Tageslicht betrachtet doch eher klein. Und zierlich. Während ich mich, meines Fahrrads beraubt, schwitzend durch die Stadt schleppte, fragte ich mich wütend, was ich mir dabei nur gedacht hatte. Es war nur eine Katze. Und kein Löwe im Kostüm.
    Als Psychologin weiß ich jedoch, dass Ängste irrational sein können. Mein Freund füttert nun die fiese Katze. Er sagt auch, dass sie sehr gemein aussieht. Vielleicht will er mich nur nicht zusätzlich aufregen. Manchmal luge ich über unsere Balkonbrüstung und sehe sie. Sie lauert im Gebüsch wie ein Löwe vor einer Herde Zebras.
    Ich gehe nur noch wenig aus dem Haus in der letzten Zeit. Meine Tierliebe jedoch ist ungebrochen. Auch Roy sagte im Rollstuhl sitzend, der Tiger wollte ihm nur helfen. Ich verstehe ihn.

Kälteeinbruch
    Ich glaube nicht an Zufälle. Jeder bekommt das, was er verdient. Ich werde in Israel den Kältetod sterben. Wie lange es dauert, weiß man nicht. Aber der Sensenmann steht schon im Anorak mit ausgestreckten Armen bereit und wartet auf mich.
    Ich will auch gerne erzählen, wie es dazu kam. Israel ist heiß. Im Sommer sogar brüllend heiß. Einen richtigen Winter gibt es eigentlich nicht. Die Jahresdurchschnittstemperatur in Tel Aviv liegt bei circa 20 Grad. Die Sonne scheint fast täglich. Momentan strahlt der Juni, und das Thermometer auf der Terrasse zeigt 28 Grad an.
    In meinem Sprachkurs sitzen wir mit Sweatshirts, die wir uns bis zur Nase hochziehen. Der eine oder andere dachte in letzter Zeit öfter laut über Schals und Mützen nach. Es ist sehr kalt in unserem Klassenzimmer. Eisiger Wind weht uns aus der Klimaanlage entgegen. Unsere Lehrerin stört das nicht. Sie liebt es kalt und würde am liebsten nackt unterrichten, weil es ihr immer noch viel zu warm ist. Sie ist Israelin. Wir nicht. In jeder Unterrichtseinheit geht unser Kampf um menschengerechte Temperaturen im Klassenzimmer von Neuem los. Wir drehen die Klimaanlage herunter. Sie dreht sie auf. Wir öffnen Türen und Fenster für warme Luft. Sie bemerkt die Sabotage blitzschnell und droht mit Unterrichtsabbruch.
    Doch das ist nicht alles. Vor Kurzem war ich mit 700 Israelis und meiner Schwiegerfamilie auf einem Schiff nach Zypern. Beim Kofferpacken warnte mein Lebensbegleiter mich noch, mehr dicke Sachen mitzunehmen. Ich lächelte und wiederholte mehrmals, dass es in Zypern genauso warm sei wie in Israel. Ich hatte meine Rechnung ohne den Sensenmann gemacht.
    Nachmittags aalten wir uns gemeinsam auf dem Schiffsdeck bei 30 Grad am Pool. Abends traf man sich im Unterhaltungskühlschrank, um Musicals zu genießen. Bei minus drei Grad.
    Nun mag man mir unterstellen, dass ich zu Übertreibungen neige. Aber in diesem Fall war es sogar den Israelis kalt. Mein Freund machte bei jedem Kabinenbesuch zehn bis 20 Liegestützen. Er bereitete sich wohl auf das Schlimmste vor. Die Hälfte der Besatzung war russisch, nur sie können bei diesen Temperaturen noch arbeiten.
    Allabendlich schlotterten wir mit Tüchern und Schals bewaffnet zum Speisesaal. Wir sahen aus wie Beduinen aus der Negevwüste. Ich zitterte am meisten. Meine israelische Familie machte mich mehrmals darauf aufmerksam, dass ich doch aus einem viel kälteren Land käme und daher gar nicht frieren dürfte. Ich antwortete nur müde mit klappernden Zähnen. Sie sahen mich an wie eine Betrügerin. Und vielleicht war ich das. Ein Schaf ohne Wolfspelz. Wahrscheinlich habe ich den Kältetod verdient.

Falscher Alarm
    Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin. Jetzt, wo ich dieses überstrapazierte Zitat nicht mehr hören kann, könnte es tatsächlich Wirklichkeit werden. Das kam so: Jährlich werden in Israel landesweit Kriegsübungen durchgeführt. Jeder sucht dann den nächstgelegenen Bunker aus einer Liste heraus, und wenn der Bombenalarm ertönt, muss man innerhalb von zwei Minuten dorthin flitzen, um in theoretischer Sicherheit zu sein. In diesem Sommer sprachen alle von einem Krieg. Es war mal wieder Zeit. 2006 Libanon, 2008 Gaza und 2010?
    Dass der israelische Staat eine ausführliche Übung anordnete und in Fernsehspots für die Überprüfung sämtlicher heimischer Antikriegsausrüstung wie Gasmasken warb, half meinem Friedensvertrauen nicht gerade. Ich bin ja sowieso von Natur aus etwas ängstlich, und in Kombination mit meinem pedantisch-genauen Lebensfreund ergab es sich, dass wir uns akribisch auf die Kriegsübung vorbereiteten. So suchten wir den nächstgelegenen Bunker heraus, besprachen den Laufweg und legten die
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