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Guten Morgen, Tel Aviv

Guten Morgen, Tel Aviv

Titel: Guten Morgen, Tel Aviv
Autoren: Katharina Hoeftmann
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wir alle deutsch, das verändert die Betrachtung.
    Hier in Israel ist alles anders. Hier ist keiner deutsch. Und schon gar nicht am Holocaust-Tag. Trotzdem fühlt man sich als Deutscher in Israel an kaum einem anderen Tag deutscher. Da alle von »den Deutschen« sprechen, habe ich immer das Gefühl, sie reden auch von mir. Ich bin Deutsche, das lässt sich nicht abschütteln. Im Gegenteil. Es gibt ja eine Tendenz bei Menschen, die im Ausland leben, noch patriotischer zu werden. Spanier, Israelis, Italiener, Rumänen, Ägypter – sie alle kennen dieses Gefühl. Für Deutsche bedeutet Leben im Ausland manchmal, das erste Mal im Leben überhaupt so etwas wie Patriotismus zu fühlen. Zumindest ging es mir so. Ich bin nicht wirklich mit Vaterlandsgefühlen groß geworden – ich glaube, in den prägenden Jahren meiner Erziehung waren die Leute etwas verwirrt. 1984 in Rostock geboren, war ich umringt von DDR -Bürgern – die Wiedervereinigung war das einzige Ereignis in meinem Leben, das einen patriotischen Anklang gehabt haben könnte – nur kann ich mich kaum daran erinnern.
    Mit meinem Umzug nach Israel änderte sich das. Plötzlich schien mir mein Heimatland der schönste Fleck auf Erden zu sein. Ruhig, grün, hoch entwickelt, freundlich. Man sagt, als Patriotismus wird eine emotionale Verbundenheit mit der eigenen Nation bezeichnet. Ich versuche es wie Arthur Schnitzler zu halten: »Ich liebe mein Vaterland nicht, weil es mein Vaterland ist, sondern weil ich es schön finde. Ich habe Heimatgefühl, aber keinen Patriotismus.« Trotzdem lasse ich mich manchmal vom ausgeprägten Patriotismus in Israel mitreißen – ich liebe dann Israel. Aber auch Deutschland. Ganz irrational ist diese Liebe, und irgendwie kommen die Gefühle für diese beiden Länder in meinem Leben dann zusammen.
    Am Holocaust-Tag ist das das Verwirrendste. Während bei der zweiminütigen Schweigeminute um zehn Uhr morgens alle Leute plötzlich innehalten, um an die Millionen Opfer des größten Verbrechens an der Menschheit zu denken, dreht sich in meinem Kopf alles immer nur um die eine Frage: Warum mein Volk? Es ist sehr schwer, an diesem Tag in Israel deutsch zu sein. Man möchte kurzerhand behaupten, man sei Niederländer oder Schweizer. Oder wenigstens ein jüdischer Deutscher. Doch es hilft alles nichts. Ich bin Deutsche. Keine Jüdin. Kein Nachkomme von Widerstandskämpfern. Meine Großeltern hatten einen Arierpass. Vielleicht waren sie keine SS -Offiziere oder KZ -Aufseher, aber Mitläufer könnten sie gewesen sein. Gewählt haben sie Hitler wohl auch. Und wir sind verwandt. Teilen körperliche Merkmale und Persönlichkeitseigenschaften.
    Was ist der Durchschnittsdeutsche? Ich würde es gerne wissen. Aber ich habe auch Angst vor der Antwort.

Cluburlaub
    Ich sitze vor einer Open-Air-Bühne in Thailand. Es sind ungefähr 35 Grad um neun Uhr dreißig abends. Auf der Bühne sitzen ein Koreaner, ein Japaner, ein Australier und ein Südafrikaner. Sie tragen Röcke, Lippenstift und Gummibrüste. Vor der Bühne stehen ungefähr 100 Menschen und tanzen Choreografien, die ein mit gespreizten Händen klatschender Tunesier vormacht. Ich komme mir vor wie bei einem dieser durchgeknallten Christen-Events in Amerika. Eine religiöse Splittergruppe, die sich in Trance, ach, was sage ich, völlige Ekstase tanzt. Synchron natürlich. Es läuft »Waka Waka« von »Shakira« – Hilfe, ich bin im Cluburlaub!
    Mitten in der wabernden Masse tanzt mein wunderbarer Lebensgefährte ausgelassen. Er scheint sich mühelos den Bewegungen der anderen Menschen anzupassen, gemeinsam schwingen sie die Arme und tänzeln in verschiedene Richtungen. Ich fühle mich, als hätte ich als Einzige das Memo am Morgen nicht bekommen. Zumindest von den Asiaten hätte ich erwartet, dass sie bei so etwas nicht mitmachen würden. Menschen verändern sich im Cluburlaub. Sie werden zu Spaßmaschinen. Und mein Wunderbarster war einer von ihnen. Er war voll dabei. Während ich ihm in unserem Alltagsleben manchmal vorwerfe, etwas langsam und unmotiviert zu sein, drehte er im Urlaub voll auf, sobald man ihm das Bändchen um das Handgelenk wickelte. Ich sah ihn kaum. Er belegte einen Golfkurs, schoss Pfeile mit einem Bogen auf bunte Zielscheiben, hüpfte wild auf einem Bungee-trampolin und schwang wie ein Zirkusakrobat am fliegenden Trapez herum.
    Ich liege im Urlaub gerne am Strand. Manchmal lese ich ein Buch oder blättere in einem Modemagazin. Das war’s. Ich bin nicht der Typ für all
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