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Gute Nacht, Peggy Sue

Gute Nacht, Peggy Sue

Titel: Gute Nacht, Peggy Sue
Autoren: Tess Gerritsen
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im Kriegsgebiet. Der Parkplatz war von einem Stacheldrahtzaun umgeben. Über dem Haupteingang hingen Überwachungskameras. Der Pfleger am Empfang der Notaufnahme saß hinter Glas … hinter schußsicherem Glas, wie M. J. annahm. Er unterhielt sich mit ihr über ein Mikrophon. Die quäkende Stimme, die durch den Lautsprecher zur ihr nach draußen drang, erinnerte M. J. an ein Drive-in-Restaurant von McDonald’s. »Womit kann ich dienen?« erkundigte er sich.
    »Mein Name ist Novak. Dr. Novak«, erwiderte sie. »Von der Gerichtsmedizin. Ich möchte einen Dr. Michael Dietz sprechen. Es geht um einen seiner Patienten.«
    »Ich versuche ihn über seinen Pieper zu erreichen.«
    Dr. Dietz tauchte nur wenige Minuten später auf. Er sah aus wie ein müder Veteran aus den Schützengräben der Medizin ohne Grenzen. Ein Stethoskop baumelte um seinen Hals, die Hose seiner Operationskleidung war von Blutflecken übersät.
    »Sie haben mich gerade noch erwischt«, meinte er. »Mein Dienst ist gleich zu Ende. Sie kommen vom Gerichtsmedizinischen Institut?«
    »Ja. Wir hatten telefoniert. Wegen dem Mann mit der Überdosis.«
    »Richtig. Er liegt auf der Intensivstation. Mann, ich habe seinen Namen schon vergessen …«
    »Könnten wir mal zu ihm reinschauen?« fragte sie. »Würde mir gern seine Akte ansehen.«
    »Schätze, das geht in Ordnung. Sie kommen schließlich vom Amts wegen.«
    Sie gingen zum Lift. Das Krankenhaus sah noch genauso aus, wie sie es in Erinnerung hatte. Schmuddliger Linoleumbelag, Flure in einer komischen wassergrünen Farbe, fahrbare Liegen an den Wänden. Durch einen Durchgang zur Rechten war die Cafeteria zu sehen, mit ihrer Geräuschkulisse aus Geschirrklappern und quietschenden Stühlen. Über die Sprechanlage ertönte eine gelangweilte Stimme, die eine Reihe von Ärztenamen ausrief. Dr. Dietz bewegte sich wie ein Schlafwandler auf Tennisschuhen.
    »Wie ich sehe, hat sich der Laden nicht verändert«, bemerkte M. J.
    »Haben Sie hier mal gearbeitet?«
    »Nein. Meine Assistenzarztzeit habe ich drüben im St. Luke’s Hospital verbracht. Aber ich habe hier eine Patientin gekannt. Eine Verwandte.«
    Er lachte. »Ich weiß nicht, ob ich einen meiner Verwandten hier verarztet wissen wollte.«
    »Bei ihr spielte das keine Rolle mehr. Sie war sowieso schon orientierungslos.«
    Sie betraten den Personalaufzug und zwängten sich zu den Schwestern und Pflegern. Alle starrten stumm geradeaus, als habe sie die Leuchtzifferanzeige der Stockwerke in ihren Bann geschlagen.
    »Sie sind also aus der City?« fragte Dietz.
    »Eine Eingeborene sozusagen. Und Sie?«
    »Cleveland. Ich gehe dorthin zurück.«
    »Gefällt’s Ihnen hier nicht?«
    »Sagen wir mal so: Im Vergleich zu dieser Stadt ist Cleveland das Paradies.«
    Sie stiegen im dritten Stock aus und eilten zur Intensivstation.
    Die Abteilung war wie ein riesiger Saal mit Betten, die nur durch Vorhänge voneinander getrennt waren. Lediglich zwei Betten waren unbesetzt, was M. J. sofort auffiel. Das bedeutete, daß die Abteilung auf eventuelle nächtliche Katastrophen mehr als unzureichend vorbereitet war. Und sie hatten Vollmond. Stets ein Vorbote für eine arbeitsreiche Nacht.
    Der Patient lag in Bett Nummer 13. Nur Koma-Patienten kamen in dieses Bett, erklärte Dietz. Warum wollte man Patienten bei Bewußtsein erschrecken? Wenn man um sein Leben kämpfte, dann bekam selbst blödsinniger Aberglaube eine beängstigende Bedeutung.
    Der Mann hieß Nicos Biagi. Er war ein stämmiger Kerl um die Zwanzig, mit Arm- und Brustmuskeln, die auf ein Training im Sportstudio hinwiesen. Er war mit verschiedenen Körperteilen an Infusionen angeschlossen … ein böses Vorzeichen. Er lag völlig bewegungslos da. Nach seiner Patientenkarte reagierte er nicht einmal auf die stärksten Stimulanzien.
    »Vierundzwanzig Stunden und nicht mal ein Muskelzucken«, sagte die Krankenschwester. »Außerdem haben wir Mühe, seinen Blutdruck zu stabilisieren. Er spielt immer wieder verrückt … schießt in die Höhe und sackt wieder in den Keller. Macht mich noch wahnsinnig, all die Medikamente auf die Reihe zu kriegen.«
    M. J. blätterte die Krankenakte durch, entzifferte hastig die eiligen Notizen über den Intensivpatienten. Der Patient war bewußtlos in seinem Wagen vor der Wohnung seiner Eltern gefunden worden. Ausgestreckt auf dem Vordersitz. Neben ihm auf dem Boden hatte sein Besteck gelegen: eine Aderpresse, Spritze und Nadel, Löffel und Feuerzeug. Irgendwann während der hastigen
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