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Gute Nacht Jakob

Gute Nacht Jakob

Titel: Gute Nacht Jakob
Autoren: Hans G. Bentz
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aus unseren Kinderhänden kamen, desto besser schmeckten sie ihm offenbar. Zwischendurch verschaffte er sich kleine Abwechslungen, indem er zum Beispiel auf eine andere Lehne zu Tante Jenny oder der Mama überwechselte und ihnen heimlich die Haarnadeln aus der Frisur zog. Es konnte dann passieren, daß der einen oder der anderen bei einer lebhaften Bewegung plötzlich der Zopf vor dem Gesicht hing.
    Wenn sich dann die Frühstücksgesellschaft auflöste und er nicht von Onkel Gustl oder mir mitgenommen wurde, machte er auf eigene Faust Ausflüge. Meist zu Ciglasch mit der gemütlichen roten Säufernase und dem guten Herzen. Mit Ciglasch konnte er alles tun. Er durfte durch die Senkellöcher seiner Schuhe hacken, an der Troddel der halblangen Tabakspfeife ziehen, seine Streichholzschachtel ausschütten oder auch nur auf seiner Schulter sitzen, während er den Tauben Futter hinstreute.
    Mit den Tauben verstand sich Jakob nach anfänglichen Mißverständnissen recht gut. Ich beobachtete ihn oft um die Stallecke herum, wie er durch die gurrende und körnerpickende Menge schritt, steif und pedantisch wie ein Schulmeister. Ab und zu nahm er auch ein paar Körner auf und versteckte sie in irgendeiner Mauerritze. Er riß auch mal ein paar Tauben oder einem besonders laut gurrenden Täuberich eine Schwanzfeder aus, aber auch das ließ er bleiben, nachdem er daraufhin einmal von der gesamten Taubenschaft furchtbare Klassenkeile bezogen hatte. Ich sah nur einen Knäuel sich wälzender Vogelleiber und ein wildes Federgestiebe und mußte einschreiten, um zu verhindern, daß er von dem >sanften< Taubenvolk umgebracht wurde. Seitdem, wie gesagt, ging es in dieser Ecke recht friedlich zu.
    Weniger gut verstand er sich auch hier mit den Spatzen, die er von den frischen Pferdeäpfeln scheuchte und die daraufhin in einer dichten Wolke mörderisch schimpfend über ihm kreisten und ab und zu auf ihn niederstießen.
    Eines Tages aber wurde dieser Friede auf eine harte Probe gestellt.
    Ich saß mit Ciglasch vor dem Stall in der Sonne, und er schnitzte mir einen Flitzebogen. Wir hatten Jakob zuletzt gesehen, als er die Tauben inspizierte, und hatten uns darüber amüsiert, wie er erst eine Weile einen Täuberich beobachtete, der mit hochgeschwollener Brust, den Kopf ganz nach hinten geworfen und die Schwanzfedern aufgestellt, seiner Herzensdame den Hof machte, und wie plötzlich Jakob auch anfing, vor den Taubendamen sonderbare Verbeugungen zu machen, die Flügel zu schütteln und merkwürdig sanfte Krählaute auszustoßen.
    Dann war er eine Weile verschwunden, und plötzlich hörten wir, wie die Kutschpferde im Stall tobten. Ciglasch hob den Kopf: »Nanu, was ist denn da los, die Lisi und Grete vertragen sich doch sonst!« Aber es wurde immer schlimmer, und so standen wir schließlich auf. Als Ciglasch die Stalltür öffnete, feuerte gerade wieder Grete hinten aus und schlug mit den Hufen gegen die Wand ihrer Box, daß das Holz splitterte. Beide Pferde standen da, schweißbedeckt, zitternd, mit rollenden Augen. Wir blieben mit offenen Mündern, ohne uns zu rühren, zumal auch noch Jakob in der Gegend herumflatterte. Ich wollte ihn holen, aber Ciglasch riß mich zurück:
    »Vorsicht... warte, bis sich die Tiere beruhigen!«
    »Aber vielleicht erschreckt er sie!«
    »Unsinn, sie sind ihn doch gewöhnt!«
    Dann jedoch nahm Ciglasch vor Erstaunen die Pfeife aus dem Mund und sagte: »Ja... da schau... der Lauser, der verdammte...«
    Und nun sahen wir das neueste Spiel, das sich Jakob ausgedacht hatte: Über die Kruppe der wild stampfenden Grete war er mit einem kleinen Segelflug zunächst auf die Futterraufe geflogen, und von dort landete er auf der Kruppe von Lisi. Einen Augenblick saß er dort still, dann schlich er sich, während Lisi wild die Augen rollte und nach ihm zu schnappen versuchte, an das Schwanzende, suchte sich ein einzelnes Schwanzhaar aus und riß es dann mit einem Ruck aus. Während nun Lisi ihrerseits hochstieg und ausfeuerte, machte Jakob einen neuen Gleitflug und landete wieder auf Gretes Kruppe.
    Ehe ich es verhindern konnte, griff Ciglasch schweigend nach der Peitsche. Es pfiff durch die Luft und knallte Jakob ziemlich arg über den Rücken. Mit wildem Jammergeschrei stieg er in die Höhe und schoß zwischen uns beiden zur Stalltür hinaus.
    Ich hatte Ciglasch noch nie wütend gesehen. Aber diesmal war er es. Er hatte direkt Tränen in den Augen, als er zu Grete und Lisi ging, ihnen die Hälse kraulte und sie langsam
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