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Gute Nacht Jakob

Gute Nacht Jakob

Titel: Gute Nacht Jakob
Autoren: Hans G. Bentz
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Bauchbinde er aufmerksam betrachtet. Er knipst die Spitze ab, bläst verkehrt durch die Zigarre, holt dann das perlmuttene Taschenmesser hervor, entfernt vorsichtig die Bauchbinde und zündet schließlich die Zigarre an. Dann nimmt er eine Liste, macht einen Vermerk, stellt die Kiste wieder weg.
    »Vergiß nicht, das Gas auszumachen, Max, wenn du kommst!« ruft Omama.
    »Nein, Paulchen.« Er reckt sich, dreht die Flamme aus. Wir wackeln beide ins Eßzimmer. Dort ist inzwischen das Geschirr verschwunden und eine blau-weiß gewürfelte Decke aufgelegt. Die Mama häkelt und schaut ab und zu in einen Roman. Omama liest die Zeitung, ich hole meinen Lederstrumpf, Opapa schlägt die Briefmarkenzeitung auf. Das Gaslicht kocht. Ab und zu räuspert sich Omama gewaltig, und dann liest sie etwas aus der Zeitung vor. Ein Doppelmord, etwas über den Grafen Zeppelin. Die Kaiserin hat eine neue Kirche gestiftet, und die Sozialdemokraten sind gegen die Flottenvorlage.
    »Wie findest du das, Max?«
    Opapa sieht über den Kneifer hinweg und hat, was die Familie das >Oppositionsgesicht< nennt. »Ich hab’s schon gelesen, Paulchen«, sagt er spitz.
    »Ich finde das Quatsch!« erkläre ich. »Wir brauchen noch mindestens zehn Linienschiffe, um mit den Engländern gleich zu sein.«
    Opapa nimmt den Kneifer ab, klopft damit auf den Tisch und sinnt vor sich hin: »Alles Unsinn«, sagt er schließlich. »England hat noch nie einen Krieg verloren und wird nie einen verlieren. Was wollen wir mit der Flotte? Ohne Küsten? Mit einem Land wie England verbündet man sich.«
    »Die Iren sind anderer Meinung«, sagt Omama.
    »Es gibt zwei Sorten von Iren«, erwidert Opapa, »die einen sind in Irland und wissen nicht, was sie wollen. Und die anderen haben rote Haare und sind Polizisten in New York.«
    »Vergiß nicht, daß ich aus Irland komme, Max!«
    »Nein, Paulchen!« Er grinst.
    Pause. Das Gaslicht zischt. Die Zeit gleitet dahin wie ein dunkler, glatter Strom. Dann, um die neunte Stunde, beginnt Opapa zu gähnen. Omama sieht ihn über die Brille weg an, unterdrückt ihrerseits ein Gähnen und sagt: »Max, du bist müde!«
    Opapa nimmt den Kneifer ab, dessen schwarze Schnur in seiner Brusttasche mündet, und macht das Oppositionsgesicht: »Nein, Paulchen, ich bin nicht müde. Du bist müde!«
    Sie räuspert sich gewaltig: »Ich? Keine Rede!« Und hebt die Zeitung wieder vor das Gesicht. Opapa stellt die Briefmarkenzeitung hoch und sieht hinter dieser Deckung verstohlen nach der Uhr. Er unterdrückt ein neues Gähnen mit solcher Anstrengung, daß er einen ganz dicken Hals bekommt und seine Augen tränen. Ich grinse hinter meinem Lederstrumpf. Er stößt mich warnend gegen das Schienbein und kneift ein Auge zu.
    Nach einer Viertelstunde läßt Omama die Zeitung fallen, packt die Brille ins Etui und erklärt: »Wir sind müde!«
    Im nächsten Augenblick ist Opapa auf, hat uns allen den Gutenachtkuß gegeben und ist den langen Flur entlang in das Schlafzimmer abgetrabt. Allgemeiner Aufbruch. Ich packe mein Buch fort, muß mich zu meinem größten Kummer unter Aufsicht der Mama noch waschen (die Ohren auch).
    Im Bett kriege ich von Omama und der Mama noch einen Kuß. Die Mama halte ich an der Hand fest: »Mama«, flüstere ich, »war das auch so langweilig, als du jung warst?«
    »Du bist undankbar. Omama und Opapa lesen dir jeden Wunsch von den Augen ab. Was willst du denn noch mehr?«
    Ja, was will ich denn noch mehr?

FRANZ

    Am nächsten Nachmittag kam Franz. Er trug immer den gleichen, an den Ellenbogen und am Hosenboden blank gescheuerten Anzug, war ein Jahr älter als ich, ebenso groß, aber breitschultriger und hatte runde, braune, immer etwas erstaunte Augen. Ich saß noch an meinen Schularbeiten, als ich ihn — zehn Minuten früher als eingeladen — kommen hörte. Ich konstatierte das an Hand der Taschenuhr, die ich zum Geburtstag bekommen hatte. Es war Opapas Einsegnungsuhr, und sie wurde mit einem Schlüssel aufgezogen, wozu man den äußeren Deckel mit dem Fingernagel aufbrechen mußte. Meist brach der Nagel dabei ab. Wenn man dann die Nagelschere nahm, hatte man sie bald im Finger.
    Gleich darauf stand Franz neben meinem Pult: »Tag, Hänschen! Gibt’s heute Eier?«
    »Klar, Mensch. Du, hör mal, bei euch in der Realschule hat man doch viel mehr Mathematik als bei uns im Gymnasium.«
    Er streckte die Hand nach meinem Heft aus: »Gib schon her!«
    In zehn Minuten löste er die Aufgabe, an der ich seit einer Stunde gesessen
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