Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gute Nacht Jakob

Gute Nacht Jakob

Titel: Gute Nacht Jakob
Autoren: Hans G. Bentz
Vom Netzwerk:
mich allein auf eine Sommerreise zu schicken, da die Großeltern ins Bad fuhren. Omama hatte Rheumatismus, und Opapa entdeckte daraufhin prompt das gleiche Leiden an sich. Ich weiß nicht genau, was es bei ihm war, die Furcht, zurückgesetzt zu werden, oder einfach ein Ausdruck der Verbundenheit mit seiner Frau. Jedenfalls wurde er jedesmal, wenn Omama etwas fehlte, auch krank und bestand darauf, im gleichen Rhythmus die gleichen Medizinen zu schlucken.
    Die Auswahl eines einerseits nicht zu teuren, andererseits wohlanständigen und landschaftlich befriedigenden Gebirgsortes, die Anforderung von Prospekten und die Korrespondenz mit verschiedenen Pensionen zogen sich bis zum Beginn der großen Schulferien hin, und dann fuhren wir unter unzähligen Ermahnungen der Omama ab. Die Mama zerdrückte aus dem Abteilfenster heraus einige Tränen und wurde dann zunehmend vergnügter. Ein Mann ihr gegenüber rückte seinen Strohhut zurecht und zwirbelte seinen Schnurrbart hoch. Ich blickte zwischen beiden hin und her, und es fiel mir zum erstenmal auf, was ich für eine hübsche Mama hatte. Ich schmiegte mich an sie und flüsterte ihr ins Ohr: »Mich wahr, du heiratest den doch nich? Ich will keinen neuen Papa, Opapa genügt mir völlig!«
    Sie drückte mich an sich: »Nein, wir bleiben zusammen...«
    Wir wohnten in einer mäßig guten Pension zwischen mäßig hohen Felsen, mäßig großen Wäldern und mäßig interessanten Leuten, die mich jedoch nichts angingen, denn ich hatte mir gleich am ersten Tag im Wald oberhalb der sogenannten Rehwiese aus Baumzweigen eine Burg gebaut. Von dort unternahm ich mit schußbereiter Büchse zahlreiche Erkundungsvorstöße in die unbekannte, aufregende Wildnis.
    Am dritten Tag dann ereignete es sich! Als ich gerade wieder unter häufigem Abschießen der Büchse eine erbittert verteidigte feindliche Höhe erstürmte, rannte ich direkt in einen fremden Stamm! Es waren vier Jungen: ein kleiner, rothaariger mit O-Beinen, der einen Sack trug, ein schwarzhaariger, breitschultriger mit bloßen Füßen und einem sehr schmutzigen Hemd, ein ganz langer blonder, der die Hose mit einem Strick zugebunden hatte, und ein Flachskopf mit schlauen Augen, der einen verbeulten und unbeschreiblich schmutzigen Hut im Genick trug. Der lange Blonde mit dem Strick war offenbar der Anführer.
    Ich nahm natürlich sofort Deckung, aber es war schon zu spät, sie hatten mich gesehen und umzingelten mich. Ich lud also ostentativ die Büchse und lehnte mich in stolzer Haltung darauf, wie ich das auf dem Kupferstich vom Lederstrumpf bei der Begegnung mit Chinkangok gesehen hatte.
    Das O-Bein stellte den Sack hin, in dem es sich merkwürdig bewegte und krächzte, dem ich aber in dieser gefährlichen Situation keine Aufmerksamkeit schenken konnte. Der Lange mit dem Strick (wahrscheinlich würden sie mich damit an den Baum fesseln) betrachtete mich nachdenklich und abschätzend.
    »‘n Tag!« sagte er dann. Er sah streng zu dem Flachskopf hinüber, der daraufhin den Hut abnahm und auch »‘n Tag!« sagte.
    »‘n Tag!« sagte ich.
    »Was machst’n hier?« fragte der Lange.
    Ich räusperte mich: »Mal sehn, was ich schießen kann. Und ihr?«
    Zwischen den vieren flogen Blicke hin und her. Verschwörerblicke. Eine Erklärung wurde nicht gegeben. Statt dessen fragte der Lange, auf meine Büchse zeigend: »Kannste damit richtig schießen?«
    »Klar, Mensch!« (Immer forsch ‘ran!)
    »Zeig mal!«
    Jetzt mußte ich ihnen beweisen, welch gefährlicher Gegner Lederstrumpf war. Ich sah mich um, fand ein helles Stüde Schnittholz, legte es auf einen Baumstumpf zehn Meter entfernt, bezwang das Zittern meiner Hand und jagte den Bolzen mitten hinein.
    Die vier starrten eine Weile schweigend auf das Ergebnis. Ich wagte nicht, in ihre Gesichter zu sehen. Dann zog der Lange den Strick um seine Hose enger:
    »Darf ich auch mal?«
    Jetzt kam die Entscheidung! Wenn sie einfach damit fortrannten — was dann? Und wenn ich fortrannte? Statt dessen hörte ich mich sehr mutig sagen: »Klar, Mensch! Paß auf: So spannste — hol mal den Bolzen aus der Scheibe! (Der Rotkopf stürzte gehorsam hin!) — So, das ist das Visier und das da vom das Korn. Du mußt durch das Visier sehn, biste das Korn siehst. Siehstes?«
    Der Lange hielt das Gewehr aufgeregt an die Backe geklemmt: »Klar, Mensch!« sagte er schließlich.
    Ich schöpfte Luft: er kopierte mich schon, ich hatte ihn geistig überwunden! Vielleicht wählten sie mich sogar zum Anführer? Der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher