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Gute liegt so nah...

Gute liegt so nah...

Titel: Gute liegt so nah...
Autoren: K Higgins
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der Route 6 verursacht hatte. Trish, Sam und Danny zogen drei Wochen nach der Beerdigung ins Haus seiner Eltern, und meine Schwester begann sofort mit dem Umbau. Ein Jahr später erkannte man das Haus nicht mehr wieder. Anstelle des alten Baus stand dort jetzt ein modernes eckiges Gebäude, dessen riesige Fenster Aussicht auf die Bucht boten. Sam nahm einen Zweitjob an, um das alles zu finanzieren .
    Das modernisierte Haus entsprach überhaupt nicht meinem Geschmack, obwohl ich zugeben musste, dass es beeindruckend war – groß, offen, viel Glas und Terrassenfläche. Vor allem die Aussicht auf den kleinen Strandabschnitt der Bucht war fantastisch. Das Wasser erstreckte sich bis zum Horizont, man sah Ruderboote, Möwen, Kormorane, manchmal einen Schwan. Über das sanfte Rauschen der Wellen hinweg hörte man das Ge schrei der Seevögel im Wind. Bei Ebbe konnte man fast eine halbe Meile weit hinausgehen, und das Hochwasser war tief genug, um darin zu schwimmen. Das Seegras bog sich anmutig – dunkelgrün in der warmen Jahreszeit, golden im Winter. Selbst abgeklärte Einheimische wie ich gingen jeden Abend an den Strand, um den spektakulären Sonnenuntergang zu sehen. Das alles hatte meine Schwester gegen Short Hills, New Jersey, eingetauscht. Da gab’s vermutlich ein tolles Einkaufszentrum.
    Ich parkte in der Auffahrt aus Muschelkalk und lief die Stufen zur Eingangstür hinauf. Sam war Polizist, und wenn er uns nicht gerade vor dem Verbrechen beschützte, arbeitete er nebenbei bei einem Landschaftsgärtner. Sein eigener Garten war beeindruckend. Selbst jetzt im März belebten Grünpflanzen die ansonsten grau und braun schlummernden Blumenbeete. In wenigen Monaten würden die Leute auf der Straße stehen bleiben, um das ehemalige Zuhause meiner Schwester zu bewundern.
    Ich öffnete die Tür und rief: „Hallo!“ Mein Neffe kam wie ein aufgeregter Irish Setter die Treppe herunter, und ich war einfach froh, dass Danny sich selbst im fortgeschrittenen Alter von siebzehn noch so über meinen Besuch freute. Mein Neffe war das Kind, das sich jeder Mensch wünschte. Er war witzig, großzügig, sehr intelligent, groß und ein wenig schlaksig. Als typischer amerikanischer Junge spielte er natürlich Baseball.
    „Hallo Tantchen“, begrüßte er mich und gab mir einen Kuss auf die Wange, wofür er sich zu mir herunterbeugen musste, denn er war schon seit ungefähr fünf Jahren größer als ich.
    „Hallo Jungchen“, erwiderte sich. „Was machst du gerade?“
    „Hausaufgaben. Integralrechnung. Möchtest du etwas essen? Ich sterbe vor Hunger“, verkündete er und schlug den Weg zur Küche ein. Edelstahlgeräte, Arbeitsflächen aus Granit, weiße Wände und ein schwarz gefliester Fußboden verliehen dem Raum eine strenge Atmosphäre. Ich setzte mich auf einen Hocker am Küchentresen und schaute Danny zu, wie er mit den Schranktüren knallte, mit Gerätschaften klapperte und Essen zusammenklatschte. Ich lehnte seine Einladung zum Mitessen ab. Und das, obwohl mir der Magen knurrte beim Anblick des auf dem Toaster röstenden Bagels und des Glases Milch, das mein Neffe mit vier großen Schlucken leerte. Das waren bestimmt tausend Kalorien, die er da zu sich nahm.
    „Ist dein Dad bei der Arbeit?“, fragte ich.
    „Nein, er hat sich heute freigenommen“, antwortete Danny und schälte eine Banane, die er sich zur Hälfte in den Mund stopfte, während er weiter auf den Bagel wartete. „Die Scheidung ist seit heute rechtskräftig.“
    „Ja, das habe ich schon gehört. Wie kommst du damit klar?“
    „Ganz gut, glaube ich.“ Er hielt einen Moment inne und schaute aus dem Fenster auf die Bucht. „Mom ist ja schon eine Weile fort, daran habe ich mich inzwischen gewöhnt. Aber Dad macht es ziemlich fertig.“
    „Hast du heute mit deiner Mom gesprochen?“
    „Ja, es geht ihr gut.“
    Fasziniert beobachtete ich, welche Mengen mein Neffe auf einmal in seinem Mund verschwinden lassen konnte. Ein ganzes Drittel des riesigen Bagels! Unglaublich!
    „Sie meint, sie sei froh, weil sie jetzt ein neues Kapitel in ihrem Leben aufschlägt. Eine Tür wird geschlossen, ein Fenster öffnet sich. Ich glaube, sie kommt ganz gut damit zurecht.“
    „Na wunderbar“, murmelte ich und versuchte neutral zu bleiben.
    „Ach komm schon, Tante Millie. Du kannst ihr nicht die Schuld geben.“ Danny zuckte mit den Schultern und schluckte wie ein Python, die gerade eine Ziege verschlang. „Sie verdient es, glücklich zu sein. Nur weil meine Eltern es
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