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Gute liegt so nah...

Gute liegt so nah...

Titel: Gute liegt so nah...
Autoren: K Higgins
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Äußeres bewies. Seine Haare waren oft zerzaust, als sei er gerade erst aus dem Bett gestiegen, er war häufig unrasiert und seine Kleidung zerknittert. Er war auf eine wundervoll lässige Art attraktiv.
    Joe und ich waren beide am Cape Cod geboren und kamen gleichzeitig in dieselbe Schule. Wir waren nicht befreundet und sagten in der Highschool im Vorbeigehen höchstens Hallo (genau dreimal, und ich war danach völlig aus dem Häuschen und bekam Pickel, weil meine Hormone verrückt spielten).
    Aber dann kam der große Moment, jenes Ereignis, das Joe für alle Ewigkeiten einen Platz in meinem Herzen sicherte.
    In meinem zweiten Jahr auf der Highschool machte meine Klasse einen Ausflug zur Plymouth Plantation, wie alle Schulkinder in New England, nicht nur weil es vorgeschrieben war, sondern auch aus Patriotismus. Mit der für Fünfzehnjährige typischen eigenartigen Mischung aus Überschwang und Überdruss verbrachten wir eine Stunde in unserem klappernden heißen Bus, bevor wir durch die Straßen des historischen Dorfes wanderten. Während meine Freundinnen mürrisch und gelangweilt waren, war ich fasziniert von „Obad iah“, dem der Epoche entsprechend gekleideten Mann, der Blaubarsch über einem offenen Feuer grillte. Er bot mir einen Happen zum Probieren an. Ich nahm ihn an. Er gab mir noch einen. Den aß ich auch und war ganz beeindruckt von seinem Interesse an mir – ungeachtet der Tatsache, dass er seinen Lebensunterhalt damit verdiente, charmant zu den Touristen zu sein.
    Auf dem Heimweg im Bus voller kreischender Kinder, die sich mit Papierkugeln bewarfen und wie eine wilde Affenhorde gebärdeten, machte sich der Blaubarsch bemerkbar. Meine beste Freundin, Katie, fragte, ob mit mir alles in Ordnung sei – offenbar war ich ein bisschen grün im Gesicht. Statt zu antworten, übergab ich mich auf ihre Füße. Seitdem bekomme ich keinen Blaubarsch mehr hinunter.
    Die Kids um mich herum reagierten, wie Teenager eben in so einer Situation reagieren. Begleitet von Spott und angewiderten Schreien übergab ich mich noch ein paar Mal, während Katie beim Busfahrer Papiertücher besorgte. Meine Augen tränten, meine Nase kribbelte, mein Gesicht brannte. Tja, und dann … dann saß Joe neben mir.
    „Alles in Ordnung, Millie?“, fragte er und strich sich die Haare aus der Stirn.
    „Ja“, flüsterte ich, entsetzt, hingerissen, elend und verliebt.
    „Klappe, Leute“, befahl Joe freundlich, und weil er Joe war, gehorchten sie. Er tätschelte mir die Schulter, und selbst in meinem geschwächten Zustand nahm ich jedes Detail wahr – die Wärme seiner Hand, den mitfühlenden Ausdruck in seinen wunderschönen Augen, das Lächeln auf seinen vollkommenen Lippen. Dann kam Katie mit Papiertüchern und Katzenstreu zurück, um die Bescherung zu beseitigen, und Joe ging wieder in den hinteren Teil des Busses, wo die coolen Kids saßen.
    Aber ich hatte den Beweis! Den Beweis dafür, dass er nicht nur gut aussah, und weder das College noch die medizinische Fakultät änderten et was an meiner fixen Idee. Ich fuhr in den Semesterferien nach Hause und machte genau dort weiter, wo ich aufgehört hatte – indem ich Joe suchte. Ihm zufällig begegnete. Ihn ansprach. Klar, ich kam mir ein bisschen albern vor … aber die Liebe war stärker als der Verstand. Er hatte stets die gleiche Wirkung auf mich, sein beiläufiges „Hallo, Millie, wie geht’s?“ sandte ein Beben durch meinen Körper und ließ mich erröten.
    Heute, mit fast dreißig, legte ich noch eine ganz gute Imitation dieser Teenagerverliebtheit hin. Ich war nach meiner Assistenzzeit im Krankenhaus gerade wieder aufs Cape gezogen, in die quälende Nähe von Joe. Aber in diesem Jahr würde es anders werden, schwor ich mir. Dies war das Jahr, in dem ich mich seiner wert erweisen würde.
    Was mich betraf, so gab ich mich keinen Illusionen hin. Ich war klug und umgänglich, besaß Humor und Verantwortungsbewusstsein. Ich war eine verlässliche Freundin. Obwohl noch neu im Beruf, war ich doch schon eine gute Ärztin. Was mein Äußeres betraf, so war ich eher klein und ein bisschen pausbäckig, mit langen, glatten Haaren, die ich meistens zu einem Pferdeschwanz zusammenband. Ziemlich gerade Zähne. Braune Augen. Insgesamt nichts Besonderes. Mit einer extrem gut aussehenden älteren Schwester gestraft zu sein, hatte im Lauf der Jahre nicht unbedingt zur Steigerung meines Selbstbewusstseins beigetragen. Und meine Zeit als Assistenzärztin war meiner Attraktivität auch
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