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Gut genug - Erzählung

Gut genug - Erzählung

Titel: Gut genug - Erzählung
Autoren: Rotbuch-Verlag
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etwas Erblichem aus, aber man konnte nichts wissen, weil man dazu in den Bauch hätte pieksen müssen. Ali fing an, sich blutrünstig um die Geburt die gräßlichsten Sorgen zu machen; ich habe gesagt, mein Gott, Ali, laß uns eine Weile nicht so oft telefonieren, und dann haben wir eine Weile nicht so oft telefoniert.
    Im Büro hat die Witt gesagt, daß es wegen der Überbevölkerung unverantwortlich sei, die Weinrich hat gesagt, so, wie die Umwelt versaut ist, muß man sich sterilisieren lassen, aber sie haben es auf eine Art gesagt, wie man etwas sagt, was man gehört hat oder vom Fernsehen weiß. Es hat auch in der Zeitung gestanden, daß die Welt kein Selbstbedienungsverein sei, man solle das ja nicht glauben, und natürlich sagen alle das, was in der Zeitung steht und im Fernsehen kommt, weil sie die Sendungen ansehen, in denen das gesagt wird, und dann sehen sie es und sagen es, obwohl es und selbst wenn es stimmt. Also haben sie recht und haben es aber gleichzeitig nicht so gemeint. So haben die Witt und die Weinrich das mit der Überbevölkerung und mit der Umweltversauung gesagt. Und weil das Kinderkriegen dieses Jahr nicht in Mode war. Hoffmann selbst, also Hoffmann senior, hat gesagt, es täte ihm immer von Herzen leid, wenn er mit ansehen muß, wie ein junger Mensch sich entschlossen das Leben verpfuscht und die Zukunft vernagelt. Hoffmann senior hatte sich mit Hoffmann junior offenbar die Zukunft vernagelt. Aber die siebziger Jahre waren schließlich auch noch vorbeigegangen, und Hoffmann junior hatte sich den Ohrring aus den Ohren genommen und rauchte statt dessen Zigarre, während er eine Zwangsräumung nach der andern auf die Kassetten jagte, also konnte sich Hoffmann senior eigentlich nicht beklagen. Das frühere Loch im Ohr war zugewachsen, aber noch ganz gut sichtbar. Ich hatte schon oft gedacht, daß ich nicht mehr zu Hoffmann und Hoffmann arbeiten gehen will. Es hat mich geekelt, wenn Hoffmann senior mir morgens im Bademantel die Tür aufgemacht hat. Seine Zähne hat er erst gegen elf eingesetzt, wenn er fertig war fürs Gericht, und das ist eine Angewohnheit gewesen, die mich gelegentlich hat an Kündigung denken lassen. Natürlich hat er Fräulein Ragotsky gesagt, wenn du nicht verheiratet warst, aber das ist kein Kündigungsgrund wie die morgendlich fehlenden Zähne und die Zwangsräumungsklagen und das ewige bunte Durchschlagpapier. Geben Sie das zu den Akten. Mittags hat Sie-Hoffmann im ersten Stock Mittagessen gekocht, und Senior und Junior sind hochgegangen. Wir haben uns gegenüber bei einem italienischen Imbiß für Büroangestellte Salate mit wechselnden Soßen geholt, die alle genauso schmeckten, und sind neidisch gewesen wegen des warmen Geruchs, obwohl die Salate zusammengerechnet dreimal so teuer waren wie die Hoffmannschen Suppen und Braten. Sie haben aber nicht so gerochen. Dafür hat Sie-Hoffmann Gicht gehabt.
    Einen Vormittag Ende November ist Sie-Hoffmann ins Büro gekommen, um die Rechnungen zu kontrollieren und zu schauen, ob die Witt nicht wieder Porto auf die Gerichtspost klebt, was sie aus Bosheit manchmal gemacht hat, und dann hat Sie-Hoffmann jedesmal furchtbar getobt. Sie-Hoffmann ist also heruntergekommen, und als sie bei meinem Schreibtisch war, hat sie getan, als suchte sie eine Akte, und dabei hat sie gesagt, wie schlimm das ist für die Würmer, wenn ihre Mütter arbeiten gehen, anstatt sich um sie zu kümmern. Sie hat es mehr zu sich selbst gezischt als zu mir gesagt. Ich habe gesagt, glauben Sie, und sie hat gesagt, ja, das glaubt sie. Schlimm für die armen Würmer. Die armen modernen Würmer mit ihren armen, dummen, modernen Müttern, hat sie gesagt, die immer alles besser wissen. Ich hatte nicht das Gefühl, etwas besser zu wissen oder überhaupt zu wissen, wie es gehen kann, aber Sie-Hoffmann war nicht jemand, den ich unbedingt hätte fragen mögen. Ich habe gesagt, wenn Sie die Reichenbach-Akte suchen, die hat sich gerade Ihr Mann geholt, aber sie hat weder die Reichenbach-Akte noch sonst eine Akte gesucht, sondern nur so getan, um mir das mit den Würmern ins Ohr zu zischen und sich womöglich das Mutterschaftsgeld zu ersparen. An dem Tag hat es nach Hackfleischsoße im Haus gerochen, und ich hatte die Zwangsräumungsklagen, den schlappen Salat von gegenüber und Hoffmann seniors fehlende Zähne satt.
    Sie können sich ungefähr denken, wie es weiterging.
    Als A.C. kam, um mich abzuholen, weil wir spazierengehen wollten, war es schon passiert. A.C. hat
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