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Gut genug - Erzählung

Gut genug - Erzählung

Titel: Gut genug - Erzählung
Autoren: Rotbuch-Verlag
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Kraft hat und benutzt sie nicht – es gibt da so etwas wie eine Verfallsfrist. Danach ist sie spurlos weg, und man kommt plötzlich nicht mehr hoch. Natürlich hätte ich auswandern können. Oder Sozialarbeit. Oder Aikido. Oder was? Die Welt hat sich damals benommen, als wäre sie rund und bunt und ein einziger Selbstbedienungsverein. Manchmal stand in der Zeitung, daß sie kein Selbstbedienungsverein sei, man solle das ja nicht glauben, und alle Leute haben gesagt, was in der Zeitung steht, aber weil es in der Zeitung steht, glaubt doch keiner daran. Bis einer die unterste Flasche rauszieht, habe ich gedacht, das kann dann ziemlich scheppern. Also bin ich nicht ausgewandert. Für Sozialarbeit muß man ein guter Mensch sein. Wenigstens muß man glauben, daß man einer ist. Früher habe ich mir abends gelegentlich vorgenommen, ein guter Mensch zu werden, etwa wie Albert Schweitzer, es war ein Mittel gegen die Furcht, die einen am Einschlafen hindert, aber sobald man anfängt zu denken, ist es aus mit dem guten Menschen. Aikido brauchst du nur, wenn du Angst hast, dich fällt jemand an, mich fällt aber niemand an.
    Die Kraft war also drüber, ein Überschuß eben, vielleicht ein Übermut, und ich wußte damit nicht, wohin. Manche Leute regeln das übers Fernsehen, und wenn du dann das Verfallsdatum überschritten hast, merkst du nichts mehr davon. Von der Unruhe. Es ist eine sinnlose Unruhe, natürlich, sie hat mit dem Leben zu tun, das nicht ordentlich stillhalten will, sondern quer durch die Modderpampe immer durchlatschen immer.
    Der Arzt, als er mir gesagt hat, daß der Schwangerschaftstest so und so und also positiv wäre, nachdem ich mir das erste Mal über die Hand gepißt hatte, wußte erst nicht, ob er mir gratulieren soll oder lieber gleich eine Abtreibung machen. Ich auch nicht. Wir hatten in der Schule die Atombombe, den Rassismus in den Vereinigten Staaten, Arno Schmidt, den Faschismus, die Unterdrückung der Frau, die zweite Natur und überhaupt eine Menge gelernt, und in Musik die Seeräuberjenny, aber das war kein Pflichtkurs, und jedenfalls hat man da schon, mit Ausnahme des Rassismus in den Vereinigten Staaten, die hier nur mit Einschränkung gelten, lauter handfeste Gründe dagegen. Gegen das Kinderkriegen. Wenn Sie nachdenken, fallen Ihnen bestimmt auch noch welche ein. Meiner Mutter sind ziemlich viele eingefallen, als ich dann damit kam, sogar meinem Vater sind welche eingefallen. Eigentlich allen. Mir auch. Um es genau zu sagen, fällt einem, wenn man halbwegs bei Verstand ist, kein einziger Grund dafür ein. Sagen Sie nichts von Liebe. Wir sind für Liebe nicht so sehr gut geeignet. Nicht nach alldem. Sie auch nicht, da brauchen Sie nicht so zu tun. Der Arzt hat auch gewußt, daß es nicht einen einzigen Grund gibt, Kinder zu kriegen, er hat ganz vorsichtig und behutsam gesagt, es ist schließlich ein natürlicher Vorgang, und ich bin sofort wütend geworden und hochgegangen, ich war sowieso noch ein bißchen wütend wegen der Kaffeeautomatenbecher am Ende dieses Jahrhunderts. Ich habe gesagt, das glauben Sie doch wohl selber nicht, daß das ein natürlicher Vorgang ist. Im Gegenteil, habe ich gesagt, es ist etwa der widernatürlichste Vorgang, der sich nur denken läßt. Geradezu antinatürlich. Nicht daß eine Abtreibung machen ein natürlicher Vorgang ist, habe ich gesagt, aber eine Abtreibung machen ist immer noch natürlicher, als sie nicht zu machen und statt dessen ein Kind zu kriegen. Am natürlichsten ist weder noch. Das ungefähr hat später auch meine Mutter gesagt. Dafür haben sie nicht die Pille erfunden, daß du jetzt daherkommst und schaffst dir ein Kind an. Meine Mutter hat die Erfindung der Pille immer als große Menschheitsleistung bezeichnet und revolutionär gefunden, nicht für ihre eigenen Töchter natürlich, für die sie weder noch angemessen gefunden hat, weder Pille noch Kinderkriegen, aber als Menschheitserfindung und für in Indien hat sie sie für eine gewaltige Leistung gehalten. Vor der Erfindung der Pille ist das Leben für Frauen nicht so sehr lustig gewesen, hat sie gesagt. Damit hat sie ihr eigenes Leben gemeint, nicht das Leben der Inderinnen mit ihren Inderkindern, die sie sich allerdings nicht anschaffen. Werfen wie die Karnickel. Sterben wie die Fliegen.
    Als ich mit den Männern anfing, wußte ich jedenfalls ziemlich genau, wie man es macht, keine Kinder zu kriegen, und so gut wie nichts darüber, wie man es macht, sie zu kriegen und dann zu haben. Und
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